0504 - Lorna, die Löwenfrau
Platte stand ein schneeweißes Telefon.
Zwei Stühle mit gepolsterten Rücken und hohen Lehnen standen ebenfalls in der Nähe.
»Was sagst du?« frage Bill. Er war an der Treppe stehengeblieben.
»Sieht leer aus und trotzdem nicht unbewohnt.«
»Genau.« Der Lichtschein wanderte über die Stufen, bis hoch zum ersten Absatz.
In der Mitte der Treppe lag ein Teppich. In Wellen führte er hoch und auch wieder hinunter.
Ich drehte mich inzwischen zu den Fenstern hin. Sie waren hoch und breit, aber sie reichten nicht bis zum Boden. Jedes Fenster wurde von zwei langen Stores eingerahmt. Die dicken Kordeln hatten die Farben von Henkerschlingen.
Ich wollte mich schon wegdrehen, als mir draußen etwas auffiel.
Zunächst glaubte ich an eine Täuschung, die mir die Nebelschleier vorgaukelten, aber dieser Schatten war dunkler als der graue Nebel und ungefähr menschengroß.
Dort stand jemand.
Ich zog mich zurück, so daß ich schräg durch die Scheibe peilen konnte. Plötzlich hatte sich die Spannung verdichtet. Die Person vor dem Haus blieb nicht allein.
Aus ihrer Deckung erschienen weitere Gestalten. Sie hatten hinter den Bäumen gelauert und waren von uns bei der Ankunft nicht gesehen worden.
Fünf Personen – fünf Frauen!
Die Dienerinnen des Löwen.
Ich wollte mich umdrehen und Bill Bescheid geben, als ich seine zischende Stimme hörte.
»John, dreh dich!«
Ich tat es.
Bill leuchtete noch immer die Treppe hoch. Hinter der letzten Stufe, wo der Absatz begann und der Lampenkegel einen Kreis bildete, stand eine Gestalt.
Es war Dr. Lataresse!
***
Für Bill und mich gab es keinen Zweifel, daß es sich bei diesem Mann nur um den Leiter der Klinik handeln konnte. Er hatte etwas von einem General an sich, etwas Befehlsgewohntes, auch wenn er genau das Gegenteil von einem Militaristen war.
So wie er sah kein Offizier aus!
War er Mensch, war er Tier?
Wahrscheinlich beides, denn statt des normalen Kopfes hatte er einen mächtigen Löwenschädel. Er trug einen langen Umhang aus Seide, der ihm bis zu den Knöcheln reichte.
Von seinen Armen, Händen oder Beinen war nichts zu sehen, nur eben dieser gewaltige Löwenschädel mit der großen Mähne, die ihn umspielte. Der Schädel konnte echt sein, mußte aber nicht. Ich jedenfalls stellte mich darauf ein, daß es sich bei ihm um einen echten Kopf handelte, denn Lataresse beherrschte nicht umsonst die afrikanische Löwenmagie.
Bill war vor der untersten Stufe stehengeblieben. Jetzt drehte er den Kopf und schaute zu mir rüber. Wahrscheinlich erwartete er eine Frage oder eine Erklärung. Ich aber ging vom Thema ab und kam auf das zu sprechen, was ich draußen gesehen hatte.
»Sind die tatsächlich da?« fragte Bill.
»Ja, sie haben uns beobachtet.«
»Und jetzt?«
»Werden sie euch nicht mehr lebend aus dem Haus lassen!« Dieser Satz war aus dem Löwenmaul gedrungen, mit einer menschlich klingenden Stimme hatte uns die Mutation geantwortet, wobei die Worte noch von einem leichten Grollen begleitet wurden.
»Das werden wir sehen!« antwortete Bill frech.
Lataresse ging darauf nicht ein. »Wo habt ihr sie?« Er hatte mich dabei mit seinen kalten Raubtieraugen angeschaut.
»Von wem sprechen Sie, Mr. Lataresse?« Ich hatte bewußt seinen Namen ausgesprochen und erntete auch keinen Widerspruch.
»Ich meine Lorna!«
»Sie ist nicht bei uns.«
»Wo steckt sie?«
»Das wissen wir nicht!«
Die nächsten Sekunden verrannen schweigend. Ich konzentrierte mich auf Außengeräusche. Da ich die Tür nicht völlig geschlossen hatte, hörte ich auch die Schritte der fünf Frauen.
Sie näherten sich dem Haus. Ihre Sohlen knirschten und schleiften über den dünnen Kiesbelag.
Wir hatten schon oft Dämonen oder Dämonenfürsten gegenübergestanden und kannten auch deren Reaktionen. Wie aber Lataresse reagierte, das war schon mehr als ungewöhnlich. Er drehte Bill und mir plötzlich den Rücken zu und ging davon.
Einfach so.
Bevor Bill sich von der Überraschung erholt hatte, war der Löwenmensch dann bereits verschwunden.
Bill wollte ihm nachlaufen, auf der zweiten Stufe aber stoppte ihn mein Ruf. »Nein, Bill, nicht! Erst die anderen!«
Er wirbelte herum.
Ich lief zur Tür, erreichte sie aber nicht, da die ersten beiden Frauen bereits die Halle betraten. Sie nahmen Bills und auch meine Aufmerksamkeit voll und ganz in Anspruch.
Was hinter uns geschah, konnten wir nicht sehen. Wir hörten nur das platzende Geräusch, als etwas auf den Boden gefallen war, das
Weitere Kostenlose Bücher