0504 - Lorna, die Löwenfrau
schuldig.«
Diesmal mußte Suko lachen. »Sind wir dir wirklich etwas schuldig? Einer Person, die unseren Tod wollte und uns…«
»Ja, das seid ihr.«
»Was, bitte?«
»Ihr könnt mich wegschaffen. Hebt mich hoch und schafft mich von hier weg.«
»Sollen wir Sie begraben?« fragte Ab keuchend.
»Nein, ich will dorthin, wo ich mich geborgen fühle. Da gibt es nur einen Platz auf der Welt. Ich will zu ihm.«
Suko hatte schon längst begriffen, worauf die Löwenfrau hinauswollte. »Also zu Dr. Lataresse?«
»So ist es.«
Ab Duncan schlug sich gegen die Stirn. »Ich glaube ich spinne. Das wäre ja noch schöner. Erst wollen Sie uns umbringen, und jetzt verlangen Sie von uns…«
»Lassen Sie es, Ab!« Suko sprach dagegen. »Der Plan ist vielleicht gar nicht so schlecht.«
»Meinen Sie?«
»Ich jedenfalls komme da nicht mit.«
»Sie werden mich auch nicht begleiten.« Suko beugte sich vor.
»Das ist eine Sache, die nur uns beide etwas angeht, nicht wahr, meine liebe Lorna?«
Das Licht aus Sukos Lampe fiel in ihr Gesicht. Es zeichnete jede Hautfalte und Pore genau nach. Suko hatte den Eindruck bekommen, als wäre die Haut rauher geworden und auch grobporiger. Sie war längst nicht mehr so glatt wie die bei einem normalen Menschen. Etwas löwenhaftes war jedoch nicht zurückgeblieben.
»Wir verstehen uns, nicht wahr?« hauchte Lorna.
»Ja, gewissermaßen.«
Ein fragender Ausdruck trat in ihre Raubtieraugen. »Und – wirst du es machen?«
»Warum nicht?«
»Das freut mich. Ich kenne dich zwar nicht so gut, aber ich denke, daß du sehr daran interessiert bist, den Mann kennenzulernen, der den großen Zauber beherrscht.«
»Ich freue mich auf Dr. Lataresse.«
»Er sich auch auf dich.«
Suko sagte natürlich nicht, daß außer ihm noch sein Freund und Kollege John Sinclair an diesem verzwickten Fall arbeitete. Sie hatten sich entschlossen, das Unbekannte in die Zange zu nehmen, und Suko hoffte, daß auch John weitergekommen war.
»Heb mich hoch!« Sie streckte ihm mühsam die Arme entgegen.
Als Suko sich bückte, tippte ihm Ab Duncan auf die Schulter.
»Wollen Sie das wirklich machen?«
»Natürlich.«
»Denken Sie dabei nicht an die Gefahr?«
»Doch, Ab. Nur ist eine erkannte Gefahr eine halbe Gefahr. So sagt man, und das stimmt auch.«
»Ich weiß nicht…«
»Sie bleiben jedenfalls hier.« Suko hatte so gesprochen, daß Widerspruch zwecklos war.
Der Anwalt erkannte es. Er fügte sich achselzuckend, trat zur Seite, um Suko Platz zu schaffen, und schaute ihm zu.
Bevor der Inspektor die Frau anfassen konnte, vernahm er ihre Warnung. »Sei vorsichtig, Chinese!«
»Was ist mit dir?«
»Ich habe zwar nicht sterben können, aber ich kann mich kaum bewegen. Meine Knochen, du verstehst…?«
»Gebrochen, nicht?«
»Ja.«
»Eine schlimme Strafe«, sagte Suko. »Auch für eine Mörderin. Du wirst nie mehr so werden wie früher, das steht fest.«
»Ich weiß, aber wenn ich bei ihm bin, geht es mir trotzdem gut. Ich muß seine Nähe spüren. Lataresse gibt mir alles, begreifst du das? Einfach alles.«
Suko begriff es zwar nicht, er kam seiner Aufgabe nach und hob die Frau an.
Sie lag wenig später auf seinen Armen wie eine Puppe. Die Arme konnte sie noch etwas bewegen, aber die Beine waren gebrochen.
Zudem hatte auch der Rücken etwas abbekommen, nur empfand sie keine Schmerzen, wie sie Suko erklärte.
Er schaffte sie zum Wagen. Der Inspektor hatte den Dienstrover auf dem Gehsteig abgestellt. Das Licht einer Laterne fiel auf das Autodach, wo es sich spiegelte.
Die Luft hatte an Feuchtigkeit zugenommen. Aus den Gullys stiegen Schwaden, die lautlos über die Straße trieben und auch an den Kantsteinen der Gehwege hochkrochen, um sich weiter auszubreiten.
Suko hatte Ab Duncan den Schlüssel überlassen und bat den Anwalt, den Rover zu öffnen.
Lorna fand auf dem Rücksitz ihren Platz. Noch einmal schaute sie Duncan an. »Schade«, sagte sie. »Du hättest dich auf meine Seite stellen sollen…«
»Niemals.« Der Anwalt hämmerte die Tür zu.
Suko nahm hinter dem Lenkrad Platz. Duncan hielt noch die Tür fest. »Finden Sie den Weg?«
»Lorna wird ihn mir erklären.«
»Ja, viel Glück.« Duncan trat zurück. Suko startete und rollte rasch davon.
Der Anwalt ging zurück ins Haus. Er fror plötzlich, als würde er unter einer Eisdusche stehen…
***
Wälder – dazwischen schmale Straßen, die eine wunderschöne Erholungsgegend wie Bänder durchzogen. Der gewaltige Richmond lag hinter uns,
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