0506 - Die Spur der Ratte
Gerichtsmedizin kommen wir erst morgen früh wieder.«
»Und dann ist der zeitliche Abstand zum Geschehen wieder zu groß«, überlegte Zamorra. »Dann kann ich auch gleich hier versuchen, etwas herauszufinden.«
Nicole hielt die Hand immer noch in Blasternähe. »Sieht so aus, als tauchten immer mehr Ratten auf«, machte sie die anderen aufmerksam. »Vielleicht sollten wir uns beeilen, bevor sie mutig genug werden und uns angreifen.«
»Solange sie normale Größe haben, sehe ich da kaum Probleme«, erwiderte Zamorra. »Aber ich werde sehen, was ich tun kann.«
***
Wieder versetzte Zamorra sich in die nötige Halbtrance. Die ersten Stunden überbrückte er im Eiltempo; er wußte ja, daß sich den ganzen Tag über hier nichts für ihn Wichtiges mehr abgespielt hatte. Aber je weiter er in die Vergangenheit vorstieß, desto schwieriger wurde es, das Tempo zu halten. Es war, als gerate er in einen Sumpf, der von Meter zu Meter zäher wurde und seinem Vorwärtsdrang immer stärkeren Widerstand entgegensetzte. Er mußte immer mehr Energie aufwenden.
Pierre Robin saß auf der Motorhaube des metallic-silbernen 740i. Wie Nicole, so warf auch er immer wieder sichernde Blicke in die Runde. Aber niemand behelligte das seltsame Dreigespann. Die Halbwüchsigen hatten sich eine andere Beschäftigung gesucht, hundert Meter weiter nördlich. Zwei Männer lehnten vor einem Fenster, unterhielten sich mit jemandem im Zimmer, und warfen hin und wieder undeutbare Blicke herüber. Entgegen der Warnung des Chefinspektors hielt Nicole den Blaster jetzt doch offen in der Hand. Die modische Lederjacke hatte sie abgelegt und auf die Rückbank des Wagens geworfen; der schwarze Overall reichte völlig aus. Vielleicht war es der Anblick der pistolenähnlichen Strahlwaffe, der die Leute fernhielt. Dabei ging es Nicole eigentlich nur darum, die Waffe notfalls schneller einsetzen zu können, wenn es während Zamorras Trance-Phase zu einem Rattenangriff kam. In bezug auf diese Vierbeiner jeglicher Größe war Nicole seit dem Kampf in der Dunkelheit des Château-Kellers recht allergisch geworden.
Sie spürte Zamorras Anstrengung fast körperlich. Die Knöchel seiner Hände, die das Amulett regelrecht umklammerten, traten weiß hervor. Auf seiner Stirn perlten Schweißtropfen, die hervortretende Halsschlagader vibrierte. Zu spät dachte Nicole daran, ihn in Form eines mentalen Rapports an ihren Kräften teilhaben zu lassen und ihm die Arbeit dadurch zu erleichtern. Aber vielleicht war es besser so; sie schätzte Robin zwar hoch ein, war aber nicht sicher, ob sie beide sich in dieser Situation allein auf Robins Wachsamkeit verlassen konnten. Er war zu wenig vertraut mit übersinnlichen Erscheinungen, zu denen mit Sicherheit auch die Ratten gehörten. Außerdem war es jetzt zu spät, eine Verbindung zu Zamorras Geist zu suchen; es würde ihn aus seiner Halbtrance reißen, und er müßte noch einmal von vorn anfangen, von der Gegenwart aus. Auch eine Verstärkung durch den Dhyarra-Kristall schied aus. Die Energien von Dhyarra und Amulett vertrugen sich nicht miteinander. Wenn es wirklich einmal nötig war, beide Zusammenarbeiten zu lassen, mußten sie in einem ebenfalls kräftezehrenden, umständlichen und zeitraubenden Prozeß aufeinander abgestimmt werden - und das jedesmal aufs neue. Das war es in diesem Fall nicht wert.
Nicole sah an Zamorra vorbei auf das Amulett, das die Straße bei Tageslicht zeigte, genauer gesagt die unmittelbare Umgebung. Im Zeitraffertempo rasten Menschen vorbei. Dann endlich verlangsamte Zamorra die Geschwindigkeit. Uniformen tauchten auf, dann legte jemand den leblosen Körper auf den Gehsteig; ein anderer »löschte« die Kreidezeichnung - so sah es zumindest im Rückwärtslauf aus.
Die Polizei verschwand wieder. In der Tat gingen etliche Menschen an der leblos auf dem Gehsteig liegenden Körper vorbei, ohne sie weiter zu beachten; immerhin schritt wenigstens niemand direkt darüber hinweg. Dieses Zeichen verächtlicher Ignoranz schien auch in diesen Kreisen niemand setzen zu wollen.
Und dann war da plötzlich der entscheidende Moment.
Zamorra ließ das Amulett darüber hinweggleiten und polte es dann wieder auf Vorwärtslauf um. Der Cyborg, in der typischen schwarzen Kleidung und mit Sonnenbrille und Hut sowie Handschuhen versehen, trat ins Sichtfeld. Und plötzlich war die Ratte da.
Es ging alles blitzschnell.
Selbst in »Standprojektion« und mit »Einzelbildschaltung« ließ sich nicht feststellen, woher sie
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