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0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang

0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang

Titel: 0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang Kostenlos Bücher Online Lesen
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Abstellgleis eines Güterbahnhofs von Jersey City fand ich endlich einen Stückgut-Schnellverkehrs wagen, dessen Schiebetüren offenstanden, und in dem ein Haufen Holzwolle mit ein paar zerbrochenen Verschlagslatr ten herumlagen. Ich suchte die Latten heraus, schob die Holzwolle in eine zugfreie Ecke und machte es mir darauf bequem. Vor dem Einschlafen griff ich nach der Wermutflasche, nahm einen tüchtigen Schluck, spuckte aus, ohne den bitteren Geschmack loszuwerden, klappte den Mantelkragen hoch und versuchte zu schlafen.
    Von draußen drangen die Geräusche des nie abreißenden Bahnbetriebes herein. Es wurde rangiert, Trillerpfeifen gellten, Puffer stießen mit dumpfem Geräusch aufeinander, und immer wieder ertönte das metallische Klirren, wenn einzelne Wagen aneinandergekoppelt wurden. Seit dem Mord in Detroit waren nun schon sechzehn Tage vergangen. Ich war seit drei Tagen nicht mehr rasiert, seit eben der Zeit nicht mehr richtig gewaschen und hatte zweimal im Asyl der Bowery geschlafen. Zu meiner Überraschung hatte ich zum erstenmal festgestellt, daß es selbst unter den Bowery-Existenzen so was wie Rangordnungen gab. An oberster Stelle standen die richtigen Tramps mit »Jahrelanger Berufserfahrung« — oder wie soll man das ausdrücken? Jedenfalls waren die es, die stets die besten Ecken im Asyl bekamen. Und merkwürdigerweise wurde ich dazugerechnet, nachdem ich das erste Mal meinen Mund auf gemacht hatte. Jimmys Sprache schien ich demnach gut gelernt zu haben. Am Abend des dritten Bowery-Tages meldete ich mich verabredungsgemäß um neun Uhr abends im Distriktgebäude.
    Im Dienstzimmer von Mr. High, unserem Distriktchef, saßen außer dem Chef noch mein Freund Phil Decker, unser Kollege Steve Dillaggio und Myrna Sanders, eine unserer Telefonistinnen. Als ich eintrat, stieß Myrna einen überraschten Schrei aus. Ich grinste, fuhr mir über die Bartstoppeln, griff nach dem Hals der aus der Manteltasche herausschauenden Wermutflasche und fragte demütig:
    »’n paar Cents übrig, die Gents, für ’nen arbeitslosen Familienvater?«
    Phil rümpfte die Nase.
    »Du stinkst!« behauptete er.
    »Aber stilecht!« ergänzte Steve und umkreiste mich einmal, um mich von oben bis unten zu mustern. Auch Mr. High betrachtete interessiert meine Aufmachung.
    Ich trug ein Paar derbe hohe Arbeitsschuhe, die mir ein wenig zu groß waren, die aber aussahen, als könnten sie noch die nächsten dreißig Jahre überstehen, dazu zwei Paar dicke wollene Socken übereinander, eine Cordhose mit mehr Schmutzflecken als Knöpfen, ein buntes zerknautschtes Baumwollhemd, eine abgetragene Jacke mit Ölflecken, weil ich sie getragen hatte, wenn ich manchmal etwas an meinem Jaguar herumgebastelt hatte, und endlich den dicken groben Mantel, den mir unsere Waffenkammer besorgt hatte, die außer Waffen auch alle sonstigen Requisiten beschafft, die manchmal bei uns benötigt werden. Auf Jimmys ausdrücklichen Rat hatte ich mir auch meinen ältesten Hut aus dem Schrank gesucht, ihn ein bißchen verbeult und auf den Kopf gestülpt.
    »Da hapert es noch«, meinte der Chef und zeigte in mein Genick. »Ihre Frisur ist noch zu zivilisiert, Jerry.«
    »Ich kann’s nicht ändern, Chef. Als ich mit dem Vorschlag kam, war ich gerade beim Friseur gewesen. Jetzt muß ich einfach warten, bis es wieder nachgewachsen ist, um eine richtige Trampmähne zu kriegen.«
    »In höchstens zehn Tagen stehen dir die Haare über den Mantelkragen«, meinte Phil. »Himmel, bin ich froh, daß nicht ich diese Rolle zu spielen habe!« Ich griff in die innere Jackentasche und brachte meinen Revolver und meinen Dienstausweis zum Vorschein. Ich legte beide vor Mr. High auf den Schreibtisch. Es war mir, als ob ich mich von etwas trennte, das zu meinem Körper gehörte. Der Chef nahm die Smith and Wesson 38 Special in die Hand.
    »Das ist Ihre Entscheidung, Jerry«, sagte er sehr ernst. »Weder Washington noch ich würden darauf bestehen, daß Sie völlig waffenlos auf die Reise gehen.«
    »Aber ich bestehe darauf«, sagte ich. »Wenn wir schon dieses Theater aufführen, dann haben wir überhaupt nur eine Chance, wenn alles ausnahmslos echt wirkt. Wenn ich den Revolver bei mir habe, könnte es sein, daß ich eines Tages danach greife, wenn ich mal keinen anderen Ausweg wissen sollte. Ich bin überzeugt, es würde sich in Windeseile unter den Tramps herumsprechen. Das wollen wir vermeiden. Ich muß echt sein, hundertprozentig echt.«
    »Na gut. Aber was ist mit der Marke?«

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