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0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang

0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang

Titel: 0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang Kostenlos Bücher Online Lesen
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konnte sich beim Himmel bedanken, daß ich kein Kerl wie Gore war. Der wäre anders mit ihm umgesprungen. Ich schlug ihm die Lampe aus der Hand, konnte ihn jetzt besser wahrnehmen und warf ihn mit zwei Faustschlägen gegen die linke Wagenwand.
    »Es ist mir gleichgültig, was Sie sind«, sagte ich, während er nach Luft japste. »Aber Sie haben mich angegriffen, und wenn Sie’s noch einmal mit einer Brechstange versuchen, wird’s Ihnen, verdammt leid tun.«
    Ich hob die Lampe auf und leuchtete ihn an. Er war groß und breitschultrig, trug die Arbeitskleidung der Männer, die am Gleisbau arbeiten oder andere Knochenarbeit verrichten, aber er hatte ein Gesicht, das genauso gut zu einem Gangster der billigsten Sorte von Brooklyn gepaßt hätte.
    »Na schön«, sagte ich mit einem Seufzer. »Ich verschwinde.«
    Seine tückischen Augen glitzerten, seine fetten Lippen glänzten feucht, und in seinem ganzen Gesicht zeichnete sich das Verlangen ab, jemanden zu schikanieren.
    »Wenn ich dich noch einmal hier auf dem Bahnhof erwische, schlage ich dich erst tot, bevor ich dich wecke«, witzelte er.
    Ich stellte mich dicht vor ihn hin, hob die linke Hand und ließ ihn andeutungsweise fühlen, was ein Kerl wie Gore mit einer einzigen Hand anzustellen imstande war. Dabei sagte ich leise:
    »Sei nur vorsichtig, daß du nicht eines Tages an den Falschen gerätst, Kumpel. Tramps sind auch Menschen, aber wenn du das Tier in ihnen wachkitzelst, darfst du dich nicht wundern, wenn du mal von so einem das Zittern beigebracht kriegst.«
    Ich ließ ihn los. Er wimmerte wehleidig. Der bittere Geschmack in meinem Munde hatte sich noch verstärkt. Eine Null, die sich aufspielen mußte, sobald sie einen Wehrlosen zu Gesiebt bekam. Ich spuckte aus, sprang hinab auf die Nachbarschienen und sah mich um.
    Es war noch dunkel, aber im Osten zeigte sich der erste graue Schimmer. Fröstelnd schlug ich den Mantelkragen hoch, hastete über ein paar Gleise und wandte mich westwärts, wo ich Signallichter in der Schwärze des Himmels hängen sah. Es konnte höchstens ein paar Minuten nach fünf sein.
    Ich marschierte den Gleisen nach, die mehr und mehr zusammenliefen, bis nur noch vier übrig waren. An der letzten Weiche blieb ich stehen. Es hatte keinen Zweck, weiterzugehen. Solange es noch dunkel war, konnte ich mein Glück hier genauso gut versuchen wie irgendwo anders.
    Zwanzig Minuten später klirrten von fern die rollenden Achsen eines Zuges näher. Ich duckte mich eng an den Schotter, ließ die mächtige Diesellokomotive an mir vorbeidröhnen, stand auf, ahnte in der Dunkelheit mehr als ich sah, schnellte mich aber dennoch im richtigen Augenblick hoch und erwischte Geländerstange und Trittbretter von einem Tankwagen.
    Oh, Jimmy! schoß es mir durch den Kopf. Ich weiß, ich bin ein Anfänger, und ich habe prompt einen Tankwagen erwischt. Natürlich hatte ich es mit Jimmy durchexerziert, wie man von einem Wagen zum anderen kommt, aber jetzt war es dunkel, und die Entfernung zum nächsten Wagen schien mir verdammt k'roß zu sein. Der Fahrtwind pfiff mir um die Ohren und drohte, meinen Hut zu enltühren. Ich zerrte ihn tiefer in Stirn und Genick, bis er beinahe schmerzhaft fest saß. Plötzlich hörte ich einen knappen, aus drei Tönen bestehenden Pfiff.
    Ohne Jimmy hätte ich keine Ahnung gehabt, was er zu bedeuten hatte. So aber holte ich Luft und erwiderte den Pfiff in der umgekehrten Tonfolge. Gleich darauf drang durch das Rattern des Zuges eine Stimme an mein Ohr: »Hast du einen Schluck?«
    »Eine halbe Zwiebel«, erwiderte ich. Jimmy hatte mir erklärt, daß sie den Wermut Zwiebel nannten, weil die von ihm Berauschten im Selbstmitleid so oft zu weinen anfingen.
    »Dann komm rüber!« forderte mich die Stimme aus der Finsternis auf. »Hier zieht es nicht.«
    Der graue Schimmer im Osten war höher am Himmel emporgestiegen, aber noch immer; konnte man selbst in der Nähe kaum die Umrisse seiner Umwelt erkennen. Noch schien es mir zu riskant, in die Dunkelheit ohne richtige Sicht hineinzuklettern und dabei, vielleicht den Halt zu verlieren.
    »Gleich«, rief ich hinüber. »Muß erst mal verschnaufen. Ich habe mir den Knöchel vertreten.«
    »Wo willst du hin?«
    »Wo’s langgeht«, erwiderte ich und deutete nach Jimmys Rat damit an, daß ich kein bestimmtes Ziel hätte. »Und du?«
    »Detroit.«
    In meinem Gehirn flackerten die Alarmlichter. Vor sechzehn Tagen hatten sie an einem Bahndamm in Detroit das vierte Mädchen gefunden. Aber es mußte

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