0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang
unsinnig sein, den Unbekannten drüben auf dem nächsten Wagen damit in Zusammenhang zu bringen, nur weil er nach Detroit wollte. Dennoch fiel mir die uralte Redensart ein, daß es den Verbrecher an den Ort seiner Untat zurückzöge. Ich wurde allmählich gespannt auf den Burschen, mit dem ich mich da, gegen den Fahrtwind anschreiend, unterhielt, ohne ihn sehen zu können. Dem Pfiff nach war er einer von der Innung.
»Was ist in Detroit los?« fragte ich nach einem kurzen Schweigen.
»Was soll los sein. Ich war noch nie da, das ist alles.«
Ich hakte meinen rechten Arm um die Geländerstange, schob die klammen Finger neben der Wermutflasche in die Manteltasche und kauerte mich auf dem Trittbrett noch enger zusammen. Der Fahrtwind wurde zu einer schneidendkalten Plage. Eine zugfreie Stelle mußte eine Art Erlösung darstellen.
Ein paar Minuten vergingen langsam, ohne weitere Zurufe und mit ganz allmählich im Osten heraufdämmerndem Morgengrauen. Schließlich konnte ich undeutlich erkennen, daß der nächste Wagen offen und hochbordig war. Vom Puffersockel mußte man die Kante der Wand greifen und sich hochziehen können.
Ich kletterte hinüber und tat es genau nach der Art, die Jimmy mir gezeigt hatte. Wenn man sie beherrschte, war es wohl ungefährlicher, als es schien, aber ich hatte dennoch kein ganz gutes Gefühl dabei. Erleichtert packte ich die Kante der rauhen Holzwand mit ihren Stahlbeschlägen und reckte mich hoch. Der Umriß eines Kopfes erschien über mir.
»Gib mir die Zwiebel«, rief er herab.
Ich fiel darauf herein. Während ich mich mit der Linken festhielt, zog ich mit der Rechten die Flasche und hielt sie ihm hoch. Er nahm sie — und schlug mir eine halbe Sekunde später auf die Finger der linken Hand.
Fahrtwind, Schmerz und die Wut über diese Gemeinheit trieben mir Tränen in die Augen. Ich schnellte mich hoch, warf mich über die Kante der Wand und stürzte mit dem Kerl zusammen auf die unterschiedlich hohen Stückgutkisten, mit denen der Wagen beladen war. Die Flasche dröhnte mir rechts gegen den Kopf, aber ich spürte vor Wut kaum noch richtig den Schmerz, holte aus und setzte ihm zwei-, dreimal' die Faust hart in den Oberkörper. Er ließ die Flasche los und holte aus. Im richtigen Augenblick war mein angewinkelter Ellenbogen mitten in seiner Schlagrichtung. Er stieß einen kurzen heiseren Schrei aus. Ich schlug ihm die Handkante schräg über Ohr und Schläfe. Er rollte über zwei Kisten rückwärts, ich folgte ihm auf unsicheren Beinen nach, riß ihn hoch und setzte ihm einen Uppercut genau auf den Punkt. Damit war diese Sache erst einmal ausgestanden.
Ich suchte die Wermutflasche, lehnte mich mit dem Rücken gegen die Bordwand, wo es am wenigsten Zug gab, und nahm einen tüchtigen Schluck. Ein richtiges Frühstück mit gebratenen Eiern und Schinken und Toast und brühheißem Kaffee wäre mir hundertmal lieber gewesen, aber als Tramp mußte ich solche Sehnsüchte unterdrücken. Es würde wohl eine Weile dauern, bis ich wieder in den Genuß solcher für zivilisierte Menschen selbstverständlichen Alltäglichkeiten kommen konnte. Ich nahm noch einen Schluck von dem bittersüßen Zeug, das sie für 42 Cent pro Flasche verkauften, obgleich es meiner Meinung nach keine vier Cent wert war.
Ungefähr in der Mitte des Wagens lag der Kumpel, der mich vom Zug hatte prügeln wollen, nachdem ich ihm die Zwiebel gereicht hatte. Wenn das ihr Kameradschaftsgeist war, dann sah es traurig genug aus mit ihnen. Ich verstand sowieso nicht, wie jemand freiwillig ein solches Leben führen konnte. Ihre angebliche Freiheit war nichts weiter als die Freiheit, täglich hungern und frieren zu dürfen.
Nach einer Weile regte sich der Kerl, der meinen Uppercut zu verdauen hatte. Er fuhr sich stöhnend übers Kinn. Mittlerweile war die Dämmerung so weit vorgeschritten, daß ein milchiges Grau statt der grauschwarzen Finsternis herrschte. Rechts und links neben dem Zug konnte man Nebelschwaden sehen, wenn man den Kopf einmal über die Bordwand hob. Ich hätte gern eine Zigarette geraucht, aber ich hatte keine mehr.
Schließlich rappelte sich der Bursche hoch und kam schwankend zu mir herüber.'
»Gib mir die Zwiebel«, sagte er.
Seine Frechheit war sagenhaft. Ich überlegte einen Augenblick, dann reichte ich ihm die Flasche. Es war nicht mehr viel drin, und er soff das Zeug in einem Zug. Dann schleuderte er die Flasche im hohen Bogen vom Zug.
»Du bist ein guter Kämpfer«, sagte er und setzte sich dicht
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