0509 - Ein Gehängter kehrt zurück
dunkelrote Farbe.
Als sie sich aufrichtete, strich sie mit beiden Händen ihr blondes, halblang geschnittenes, glattes Haar zurück und lächelte Sheila Conolly an, wobei sie gleichzeitig eine alte Stehlampe einschaltete.
»Es ist doch gemütlich hier – oder?«
Mrs. Miller ließ sich in den zweiten Sessel fallen und streckte die Beine aus. »Ich liebe diese Abende. Besonders dann, wenn ich sie mit netten Gästen verbringen kann. Wissen Sie, Sheila, in einem Monat werde ich Vierzig, die Hälfte des Lebens ist praktisch vorbei. Wenn ich darüber nachdenke, muß ich sagen, daß ich es nie bereut habe, mich hier auf Tresco niedergelassen zu haben. Ich fühle mich wohl.« Sie strahlte Sheila dabei an. Ihre Augen leuchteten, die Wangen hatten vor Aufregung einen roten Schimmer bekommen.
»Das kann ich Ihnen nachfühlen, aber was sagt Ihr Mann dazu?«
»Der kommt ja raus. Als Pilot kennt er Gott und die Welt. Im Moment hält er sich wieder in Cornwall auf. Was er zu den Scillys bringen will, weiß ich auch nicht.« Sie beugte sich zur Seite, wo auf einem kleinen Teewagen die Rotweinflasche stand. »Nehmen wir noch ein Glas, Sheila. So jung kommen wir nicht mehr zusammen.«
Sheila strich über ihre Stirn. Der Wein, das Feuer und der Geruch frischer Kräuter erfüllten den großen Raum. Für Sheila schien er fern jeglicher Realität zu liegen, fest verankert in einer anderen Welt, die irgendwie über der normalen schwebte.
»Darf ich Ihr Glas haben?«
»Aber nur einen kleinen Schluck, Christiane. Der hat es in sich.«
»Ein Freund brachte einige Kisten aus Frankreich mit. Rotwein ist etwas Feines.«
»Da kann ich nicht widersprechen.«
Chrissy, wie sie gern genannt wurde, schenkte ein. Sie lächelte dabei und machte einen satten, zufriedenen Eindruck. »Sie sind für dieses Jahr wohl der letzte Gast, Sheila.«
»Weshalb?«
»Im Winter kommt niemand. Die Leute denken immer, unsere Inseln lägen unter einer dichten Schneedecke begraben, dabei stimmt das nicht. Wir haben hier keinen richtigen Winter. Im letzten, da hat es seit langem mal wieder geschneit, ansonsten sorgt der vorbeifließende Golfstrom für milde Temperaturen.«
Sheila nahm das Glas entgegen. »Ich muß Ihnen ehrlich gestehen, daß ich mich auch sehr wohl fühle.«
»Danke.« Chrissy nickte Sheila zu. »Darauf müssen wir anstoßen.« Sie streckte ihren Arm aus, Sheila kam der Wirtin mit ihrem Glas entgegen. Auf halber Strecke trafen sie sich. Ein heller Klang entstand, der durch den Raum wehte.
Sheila war hergekommen, weil ihr Mann es empfohlen hatte. Bill und Mr. Gordon Miller hatten sich zufällig kennengelernt, und Gordon hatte Bill von seinem Beruf und von seinem Wohnort vorgeschwärmt. Daß Tresco auf den Scillys ein Flecken Erde war, auf dem sich der Mensch noch erholen konnte.
Sheila brauchte Entspannung. Johnny ebenfalls, der eine knappe Woche Ferien hatte. Da Bill im Streß war, hatte er seiner Familie empfohlen, die Woche auszuspannen.
Schon in den ersten Tagen war es Sheila gelungen, die Hektik und den Streß des Alltags zu vergessen. Auf Tresco war die Zeit zwar nicht stehengeblieben, nur lief hier das Leben wesentlich ruhiger ab als in der Metropole London. Man hielt ein Schwätzchen, sprach zwar über Gott und die Welt, aber die großen Dinge, die auf der Erde passierten, liefen an, Tresco vorbei. Man vernahm davon in den Nachrichten und freute sich, in dieser Stille zu leben.
Zwischen den einzelnen Inseln verkehrte ein Flugzeug. Die Maschine gehörte zu den Inselhüpfern. Gordon Miller flog sie. Er mußte auch oft genug rüber nach Cornwall, um von dort Proviant oder Medikamente zu holen.
Ansonsten behalf man sich mit Booten oder nahm das Fährschiff, das nur die größte Insel. St. Mary’s, anlief.
Auch Sheila hatten die wenigen Tage auf der Insel, bereits verändert. Sie war lockerer geworden. Ihr Gesicht zeigte sich entspannter, und auch in der Kleidung hatte sie sich angepaßt.
Sie trug die lockeren Pullover zu den Jeans, lief in weichen Turnschuhen herum und freute sich auch darüber, daß es ihrem Sohn Johnny so gut gefiel. Er hatte bereits in Benny Burton, einem Jungen aus der Nachbarschaft, einen Freund gefunden.
Das Weinglas in Augenhöhe, betrachtete sie den dunkelroten Rebensaft. Auf ihren Lippen lag ein weiches Lächeln. Sie spürte bereits die Wirkung. Der Wein machte sie irgendwie träge, löste aber gleichzeitig die Zunge. Eine Stimmung zwischen Tag und Traum überkam sie. Zudem hatte Chrissy Miller einige
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