051 - Im Orbit
Bitterkeit und Triumph in seinem Lächeln. Es schnitt mir ins Herz. Die Enttäuschung trieb mir die Tränen in die Augen. Ich riss mich von dem Monitor los und betrachtete Hagen. Seine reglose Gestalt verschwamm hinter einem Tränenschleier.
»Ich wusste längst, wo ihr Marsha festhaltet. Ich war sogar bei ihr. Ist dir nicht aufgefallen, dass ihr Helm geschlossen war? Ihr dachtet, sie sei euer Lockvogel, dabei war sie mein Lockvogel.« Er legte den Arm um Captain Hunt.
Ich biss die Zähne zusammen, ballte die Fäuste und bohrte die Nägel in die Handballen um nicht laut schreien zu müssen.
»Manchmal habe ich sogar eure Gespräche belauscht. Ich beherrsche die Technik an Bord besser, als ihr beiden Theoretiker. Bedenke: Das ist meine dritte Mission.«
»Was ist mit Hagen?«, flüsterte ich.
»Als ihr in der Zentrifuge wart, habe ich das Schott hinter euch blockiert. Für etwa zehn Minuten habe ich das Atemgemisch verändert. Den Sauerstoffanteil um mehr als die Hälfte reduziert, den Stickstoffanteil entsprechend hochgefahren.«
Mir stockte der Atem. Ich hatte Bernstein unterschätzt.
»Ein gefährliches Unternehmen. Ich wusste nicht, ob es mir gelingen würde, den Oocygenium-Synthesizer wieder recht- zeitig umzuprogrammieren. Tatsächlich reagierte er träger als erwartet. Die Bordatmosphäre brauchte fast drei Minuten bis zum Normalwert. Fast wäre es auch für dich zu spät gewesen.«
»Auch…?«
»Dich zog ich zuerst aus der Zentrifuge.« Bernstein zuckte bedauernd mit den Schultern. »Hagen war an der gegenüberliegenden Wand, also brachte ich dich als Ersten ins Columbus-Modul und versorgte dich mit Sauerstoff. Das dauerte. Zu lange für Hagen.«
Ich starrte meinen deutschen Kollegen an. Er hing über mir an der Modulwand - verkrümmt, Schaum vor dem Mund, idiotisch grinsend. »Du meinst…?«
Bernstein auf dem Bildschirm nickte.
»Apallisches Syndrom, genau. Sein Hirn war gut drei Minuten zu lange der sauerstoffarmen Luft ausgesetzt. Sein Be- wusstsein hat sich ins Stammhirn zurückgezogen…«
Ich war unfähig, auch nur ein Wort zu sagen. Mein Zwerchfell schien zu gefrieren, und die Kälte breitete sich in meinen Gedärmen und meinem Brustkorb aus.
»Der Zentralrechner wird das Laborschott in vierundzwanzig Stunden öffnen. Wir lassen euch ein paar Vorräte zurück.«
»Das könnt ihr nicht machen, Sean!« Ich konnte nur noch flüstern. Die schockartige Einsicht, verloren zu sein, raubte mir die Stimme. »Lass uns in Ruhe reden…«
Ein bitteres Lächeln war Bernsteins Antwort. Ein Lächeln, in dem die ganze Verachtung lag, die er für mich empfand.
»Bedenke«, schloss er. »Drei, vier Atemzüge reiner Stickstoff, und ihr hättet nicht einmal gemerkt, dass ihr sterbt.« Der Bildschirm erlosch.
Zwölf Stunden später, am 13. Februar
2012 löste sich die Atlantis II von ihrer Andockstelle und startete. Sean Bernstein und Marsha Hunt waren an Bord. Und mit ihnen genetisches Material etlicher Tier-
und Pflanzenarten, Proben des Pilzes und des SARI und ein Großteil der Nahrungsvorräte.
Ich beobachtete den Start über die Außenkamera. Wohin sind Bernstein und Hunt geflogen? Vermutlich nicht zum Mond, sondern zurück zur Erde. Aber wohin auf die Erde? Ich konnte es weder in den Radaraufzeichnungen, noch anhand von Videoaufnahmen recherchieren. Bernstein hatte vor dem Start den entsprechenden Rechner ausgeschaltet. Als wollte er seine Spuren verwischen.
***
Ende Dezember 2517
Klack, klack, klack… Er stapfte durch die Bunkeranlage. Bis hierher in die oberen Ebenen war das Wasser noch nicht gedrungen. Dafür lagen zwischen den vermoosten Metallstreben Geröll und verrottetes Laub auf dem Boden. Er rief nach Aruula.
Klack, klack, klack… Es war mühsam, die Füße hochzuziehen. Und wie rasch sie wieder auf den Boden knallten, wie von selbst. Die Muskelstränge der Oberschenkel schmerzten ihn. Die ungewohnte Belastung bekam ihnen nicht.
Die Scheibe des Helms beschlug von seinem Atem, Schweißtropfen schwebten vor seinen Augen, manche berührten das Visier. Flüssigkeit sammelte sich dort. Warum trug er überhaupt diesen Helm? Weil ihn irgendetwas davor warnte, der Versuchung nachzugeben und ihn zu öffnen.
»Aruula, wo bist du?!« Manchmal blieb er stehen und sah sich um. Überall Trümmer, verbogene Wandgeländer und Haltebügel, zerschlagene Arbeitsflächen, zersplitterte Monitore und Teile der moosbedeckten Metallstreben. Ganze Wolken davon schwebten durch die Gegend. Sogar
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