0511 - Der Fluch der Baba Yaga
moskowitische Hühner, sondern Huhn nach Moskowiter Art«, korrigierte Boris. »Wenn ich anfange, die Zerstörungsaktion mit den mir zur Verfügung stehenden Mittelchen zu klären, dauert das wenigstens ein Vierteljahr, und damit ist noch immer nicht gesagt, daß die Yaga dann auch aufhört, herumzutoben. Es muß wirklich schnell gehen. Dafür, daß sie auf einem wandelnden Ofen unterwegs ist, legt sie ein hübsches Tempo vor. Die Spur beginnt in einem Sumpf bei Kiew in der Ukraine und zielt geradewegs auf Moskau. Kannst du dir vorstellen, was passiert, wenn sie den Kreml zerdeppert?«
»Vermutlich wird dein Vornamensvetter recht betreten dreinschaun«. meinte Zamorra. »Du willst also, daß ich mich der Sache annehme.«
»Schau dir die Verwüstungen an. Und bring die Baba Yaga zur Strecke.« Saranow deutete auf Zamorras Brust, wo unter seinem Hemd das Amulett hing. »Du hast die magisch-technische Möglichkeit dazu, die ich mir erst mühsam erarbeiten müßte. Mach die Yaga unschädlich. Hinterher können wir uns dann eine Erklärung aus den Fingern saugen, die jeden zufriedenstellt. Aber wir haben nicht mehr viel Zeit.«
»Es muß doch einen Grund geben, warum sie plötzlich aktiv geworden ist.«
»Frag sie danach - aber erst nach dem Ende ihres Zerstörungsritts!«
Zamorra legte die letzten Hühnerknochen beiseite und säuberte Lippen und Finger mit der Serviette. »Eine Landkarte, am besten eine von militärischer Genauigkeit. Einen Hubschrauber. Und eine Vollmacht des MBR, damit mir niemand im Wege herumsteht, bloß weil er um seine eigenen Kompetenzen fürchtet.«
»Du hast doch noch die alte Generalerlaubnis des KGB, von einem früheren Fall her«, erinnerte Saranow.
»Die gilt sicher auch heute noch. Wir klären das. Mit einem Hubschrauber kann ich dir leider nicht dienen, und was das Kartenwerk angeht - da gibt’s immer noch nichts Aktuelles, sondern nur die alten Blätter aus der Zeit des kalten Krieges. Die stimmen aber teilweise vorn und hinten nicht. Weil sie ja dem bösen kapitalistischen Feind hätten in die Hände fallen können, wurden ganze Dörfer und Hauptverkehrslinien entweder gar nicht oder an Stellen eingezeichnet, wo sie sich überhaupt nicht befinden. Damit wollte man den Feind verwirren. Man selbst kannte ja das eigene Land, und auf ein paar Kilometer mehr oder weniger ist’s auch der Roten Armee und dem KGB nie so genau angekommen…«
»Das sind ja glänzende Voraussetzungen«, murmelte Zamorra. »Warum sagst du nicht gleich, daß wir ein paar Pfadfinder engagieren müssen?«
»Stell dich nicht so an, Brüderchen. Ich dachte immer, du wärst so groß im Improvisieren. Also, wie ist es, hilfst du mir gegen die Yaga oder nicht?«
Zamorra winkte ab. »Würde ich es nicht tun wollen, wäre ich ja wohl erst gar nicht hierher geflogen, oder?«
***
In mehr oder weniger regelmäßigen Abständen legte die Baba Yaga Pausen ein, hielt in ihrem Zerstörungswerk inne. Schließlich mußte sie hin und wieder ja auch einmal Ausschau halten nach jenem Menschen, um den es der Fürstin der Finsternis ging.
Der Ofen stand wieder in ihrem Haus. Es ruhte in einer kleinen Waldlichtung, hatte die Hühnerbeine eingezogen. Rings um die Hütte ragten wieder die Pfähle auf, die mit Totenschädeln gespickt waren. Ein paar frische Schädel waren hinzugekommen; jene der jüngsten Opfer der uralten Hexe. Mit ihrem Zauber hatte sie sie zu sich geholt.
Nach wie vor brannte das Feuer im Ofen, und wieder schob die Hexe ihre Hand hinein, beschwor Professor Zamorra. Diesmal konnte sie ihn wesentlich deutlicher wahrnehmen, aber sie kam immer noch nicht an ihn heran. Er befand sich zwar nicht mehr unter dem weißmagischen Schirmfeld von Château Montagne, aber auch jetzt war er auf rätselhafte Weise geschützt. Sie vermochte ihn immer noch nicht zu beeinflussen, aber freudig überrascht stellte sie bei ihrer Beobachtung fest, wo er sich befand und was er soeben tat.
Das war ihre Chance.
Diesmal registrierte er die Beobachtung nicht; das seltsame Amulett, das er trug, blockierte in diesem Fall auch seine Wahrnehmung. Weder er noch der massige Mann ihm gegenüber merkten, daß sie aus dem Unsichtbaren heraus beobachtet wurden - genauer gesagt, aus der Flamme der Kerze heraus, die zwischen ihnen auf dem Tisch im Restaurant brannte.
Die Baba Yaga rieb sich die faltigen Hände. Zamorra war nah, er war endlich gekommen. Und ahnungslos begab er sich in die Gewalt der Hexe…
Es war Zeit, zur Tat zu
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