0511 - Der Fluch der Baba Yaga
schon einmal Gelegenheit, sich in einem solchen riesigen Luxuswagen chauffieren zu lassen? Er selbst besaß derzeit kein Auto, und die Dienstfahrzeuge waren allenfalls kleine Shigulis, die im Westen unter dem Namen Lada verkauft wurden. Tschaika und ZIL hatten früher fast nur den Mächtigen zur Verfügung gestanden, aber da die mehr auf Volvo und Mercedes umstiegen, wurden die ausgemusterten Regierungsautos von Verleihfirmen übernommen und angeboten - zu Preisen, die nur neureiche Geschäftsleute oder Ausländer mit Devisen bezahlen konnten. Für Zamorra dagegen war der Wagen eher Nostalgie; von einem Cadillac-Modell der beginnenden 60er Jahre abgekupfert, aber im Vergleich zu den sonst angebotenen Klein- und Mittelklassewagen wenigstens geräumig - und er mochte einfach das Aussehen dieses automobilen Dinosauriers. Die Autonärrin Nicole hätte vermutlich noch mehr Freude daran gehabt - und vermutlich über technische Unzulänglichkeiten und Defekte recht undamenhaft geflucht.
Im Restaurant übernahm Saranow die Bestellung. Huhn nach Moskowiter Art. Zamorra ließ sich überraschen und wunderte sich später, was an dieser Moskowiter Art so besonders war - es war eben Huhn. »Huhn ist russische Erfindung«, informierte Saranow ihn ernsthaft. »Und es stimmt dich vielleicht auf die Sache ein.« Er knabberte an einem Hühnerbein. »Auf so was, natürlich nur viel größer, trampelt das Haus durch unser schönes Land.«
Zamorra drohte mit einem wurfbereiten Flügel. »Könntest du dich vielleicht mal so ausdrücken, daß auch ein einfacher Franzose das versteht, towarischtsch?«
Saranow nickte und spülte Teile des Hühnerbeins mit einem großen Schluck Wodka die Kehle hinunter. »Kann ich, Brüderchen Zamorra. Sagt dir der Name Baba Yaga etwas?«
***
Ehrfurcht, Dankbarkeit und Demut! Wie das klang! Registrierten die drei alten Frauen die Verlogenheit in den Worten Stygias? Gingen sie bewußt darüber hinweg? Sie konnten nicht so dumm sein, ihre Tochterschwester nicht zu durchschauen!
Aber keine von ihnen sprach ein Wort. Reglos kauerten sie da. Drei uralte Frauengestalten, mit einer Häßlichkeit verflucht, daß selbst Lucifuge Rofocale ihnen nie die Ehre seines Besuches oder umgekehrt einer Audienz erwiesen hatte. Schmutziggrau, strähnig, dünn und spärlich das ungekämmte Haar, in dem Spinnen und Käfer krochen. Graubraun und zerschlissen die Kutten, in die sie sich kleideten und die Kohlensäcken ähnlicher waren als Gewändern. Lang und splitterig die Nägel von Fingern und Zehen, faltig und fleckig die Haut, runzlig die Gesichter - selbst die Baba Yaga war gegen sie eine ausgesprochene Schönheit. Krasser konnte der Gegensatz zwischen ihnen und Stygia nicht sein, die sich mit ihrem jugendlich-straffen Körper, geflügelt und gehörnt, in diabolisch-strahlender Nacktheit präsentierte.
Ein Unterschied wie Tag und Nacht.
Und doch gab es eine Gemeinsamkeit zwischen ihnen… seit Jahrtausenden… seit sehr vielen Jahrtausenden, länger, als Menschen denken konnten…
Als nach Minuten immer noch keine Reaktion erfolgte, erhob Stygia sich wieder. Sie schritt langsam weiter auf die drei alten Weiber zu. Leere Augenhöhlen starrten ihr entgegen. Die drei waren blind!
Dennoch registrierten sie alles, was um sie herum geschah, vielleicht sogar um ein Vielfaches deutlicher, als ein Sehender das gekonnt hätte. Sie besaßen ganz andere, feinere Möglichkeiten, ihre Umwelt zu erkennen.
Sie waren die letzten drei ihrer Art -von Stygia einmal abgesehen, aber Stygia war längst nicht mehr wie sie; sie gehörte einer veränderten Nachfolge-Generation an. Sie war zur Dämonin geworden; die drei aber waren das geblieben, was sie schon immer waren: Thessalische Hexen.
Der Begriff bedeutete mehr als eine Herkunftsbezeichnung. Vielleicht war es gar so, daß in grauer Vergangenheit die griechische Landschaft Thessalia nach ihnen benannt worden war…? Wer mochte es heute noch sagen?
»Bleib stehen!«
Eine der drei Alten hob die Hand, spreizte die Finger. Stygia hielt inne. Sie beugte sich der Autorität der Thessalischen Hexen - freiwillig.
»Du hast dich sehr lange Zeit nicht mehr an die Wurzeln deiner Herkunft erinnert«, krächzte eine der drei. Verblüfft stellte Stygia fest, daß sie beim besten Willen nicht sagen konnte, welche der Hexen gesprochen hatte. Oder hatte gar sie selbst diese anklagenden Worte geformt?
»Es gibt für alles, was im Multiversum geschieht, einen Grund«, wich sie aus.
»Schämtest du
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