0511 - Fenster der Angst
Haut gefahren. In meiner Kehle saß ein dicker Kloß, den ich immer wieder hinunterschlucken mußte, der aber trotzdem wieder hochstieg.
Suko erging es ähnlich. Auch er hatte Mühe, sich zu beherrschen.
In der Kirche war es kalt. Da wir uns nicht bewegten, kroch die Kühle allmählich in unsere Füße und auch die Beine hoch. Der Pfarrer ließ sich Zeit.
Allmählich schwang auch der dumpfe Klang der Glocke aus. Stille legte sich von außen über das Gotteshaus.
Der helle Ton einer Schelle durchwehte das Kirchenschiff. Der Pfarrer und ein Meßdiener erschienen. Ken Bright war katholisch gewesen, er wurde auch entsprechend beerdigt.
Die Trauergäste erhoben sich.
Da wir standen und allmählich steife Beine bekamen, schlug ich vor, uns in die letzte Bank zu setzen.
Glenda und Suko waren einverstanden.
Zeit tropfte dahin. Sie kam mir zäh vor. Der Pfarrer sprach die Gebete, die Trauergäste antworteten ihm. Dann erfüllte Orgelklang die Kirche. Eine traurige Melodie schwang gegen unsere Ohren.
Ich schaute zur Decke hoch, die blaugrau aussah und von Säulen getragen wurde.
Neben mir weinte Glenda. Sie hielt den Kopf gesenkt und lehnte sich gegen mich.
Auch ich schluckte wieder hart. Mein Blick veränderte sich. Ich schaute auf die rechte Seite, wo mehrere Fenster die Wand durchbrachen. Sie waren lang und hoch. Die Scheiben bestanden aus normalem Glas und nicht aus bunten Scheiben.
Dahinter bewegte sich der Nebel.
Ich konnte die Schwaden erkennen, die träge an der Hauswand vorbeizogen. Sie paßten zu dieser Trauerstimmung, denn sie erinnerten mich an nie abreißende Leichentücher.
Der Pfarrer stand schräg hinter dem Sarg, wo er auch mit seiner Abschiedsrede für den Toten begann. Die Stimme des Mannes klang leise, sehr traurig, obwohl er von der Hoffnung redete und dem ewigen Frieden, den die Seele des Verstorbenen gefunden hatte.
Ich hörte zu und schaute mich gleichzeitig um. Glenda starrte auf ihre Hände, deren Finger das Taschentuch zerdrückten. Suko blickte starr geradeaus, während ich mich wieder auf die trägen Nebelschwaden konzentrierte, die außen vorbeizogen.
Waren das noch Schwaden?
Im ersten Moment glaubte ich, meine Nerven würden mir einen Streich spielen. Was dort draußen vorbeistrich, das sah zwar aus wie ein dünnes Nebeltuch, aber es hatte trotz allem Konturen bekommen, die auch der Wind nicht vertreiben konnte.
Formen, die auf ein Gesicht hindeuteten, das von langen, hellen Haaren umflort wurde.
Ein Frauengesicht…
Ich zwinkerte, sah noch einmal hin, weil ich noch immer an eine Täuschung glaubte, aber das Gesicht blieb. Es kam sogar näher, wehte förmlich heran, und ich sah jetzt die Wangen, die so bleich und blaß wirkten. Darüber auch zwei Augen. Aus ihnen rann eine dunkle Flüssigkeit.
Tränen – wie Blut!
Tatsächlich, die Augen weinten blutige Tränen!
***
Keiner außer mir hatte das Gesicht gesehen. Der Pfarrer redete weiter, die Trauergäste schauten ihn an oder blickten auf ihre Knie und Hände. Selbst Glenda und Suko hatten nichts entdeckt, nur ich.
Das Gesicht besaß nicht die normale Größe. Es nahm fast das gesamte Fenster ein. Aus den Augen rannen die Blutfäden, die sich auf den Wangen verteilten. Dennoch konnte ich den Blick dieser Augen erfassen. Sie besaßen etwas ungemein Trauriges.
Blicke ohne Hoffnung, ohne Freude, förmlich darum bettelnd, erlöst zu werden.
Was mir in diesen Sekunden durch den Kopf ging, darüber konnte ich nichts sagen. Ich wußte aber, daß vor der Kirche etwas geschah, für das es eine rationale Erklärung nicht gab.
Da passierte etwas Unheimliches, etwas, das aus einer anderen Welt stammte.
Ich sagte Glenda nichts davon. Auch Suko ließ ich im Unklaren und schob mich nur sehr behutsam nach rechts, wo ich die Bankreihe auch verlassen konnte.
Erst als ich schon stand, drehten Glenda und Suko den Kopf. In ihren Augen las ich die Fragen, die sie quälten, doch sie bekamen keine Erklärung.
Auf möglichst leisen Sohlen lief ich zum Ausgang und ärgerte mich, daß die Tür knarrte, als ich sie nach innen zog. Der Nebel wehte durch den Spalt und umhüllte auch mich, als ich ins Freie und in die Leere des Kirchplatzes trat.
Ich mußte nach links gehen. Nur drei Schritte weit, dann hatte ich die Ecke erreicht.
Dort blieb ich stehen, obwohl ich einen innerlichen Drang spürte, mich zu beeilen.
Vorsichtig peilte ich um die Ecke.
Das Gesicht war noch da.
Es stand schräg in der Luft. Ich konnte es im Halbprofil anschauen.
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