0512 - Der lachende Tod
Lage gewesen, gegen die drei Alten zu kämpfen, doch jetzt spürte sie, wie mächtig diese Wesen wirklich waren. Vielleicht reichte schon ein Gedanke von ihnen, Stygia auszulöschen.
Es war geradezu lächerlich - sie war Fürstin der Finsternis, aber nicht stark genug, ihre Autorität auch durchzusetzen! Die drei Thessalischen Hexen erkannten ihre Autorität zumindest in diesen Felsgewölben nicht an. Der Ablauf dieser Begegnung hatte ihr bereits erheblich zu denken gegeben. Sie war nicht auf den Höllenthron und zur Herrschaft über die Schwarze Familie gelangt, weil sie stark genug dafür war - wenn es danach gegangen wäre, hätte sie vielleicht erst in ein paar Jahrhunderttausenden eine Chance bekommen - es sei denn, dachte sie sarkastisch, Professor Zamorra und seine Crew würden die wesentlich stärkeren Erzdämonen in Kürze samt und sonders ausrotten. Statt dessen hatte sie zu einem Trick gegriffen und Julians »Abschiedsbrief« mit einem Zusatz versehen, der sie zu seiner Nachfolgerin bestimmte. Bislang war die Verfälschung scheinbar niemandem aufgefallen. Und zumindest Julian hatte als Fürst der Finsternis tatsächlich über genug Macht verfügt, jederzeit seine Autorität unter Beweis zu stellen.
»Ich werde das Auge an seinen angestammten Platz zurücklegen, wenn ich hierher zurückkehre«, versuchte sie es trotzdem. »Das wird sein, sobald ich gesehen habe, was ich sehen will.«
Die mittlere der drei blinden Hexen, die auch bisher fast immer als Sprecherin der drei fungiert hatte, hob die spinnenfingrige Hand mit der fleckigen, pergamentenen Haut. »Wie kannst, du das Auge zurückbringen, wenn du tot bist, Tochterschwester?«
Stygia brauchte einige Sekunden, bis sie begriff, wie das gemeint war. Es war keine Drohung, sie zu töten, sondern nur eine Feststellung. Kannten die drei Hexen Stygia besser als sie sich selbst?
Vielleicht hatten sie recht. Vielleicht würde es so faszinierend sein, durch das Auge zu schauen und Dinge zu sehen, die selbst dem großen Merlin verborgen blieben, daß sie das Auge für alle Zeiten für sich behalten wollte! Wenn sie es erst einmal in den sieben Kreisen der Hölle hatte, wie wollten die Thessalischen Hexen sie dann zwingen, es zurückzubringen? Denn in den Höllen-Tiefen hatten Stygia Heimspiel. Sie konnte Tausende von Hilfsgeistern in der Auseinandersetzung gegen die Hexen verheizen, brauchte nicht selbst zu kämpfen!
Die Blinden befürchteten also, daß Stygia das Auge behalten würde, bis sie starb, wobei es keine Rolle spielte, ob sie auf natürliche Weise das Ende ihrer dämonischen Lebensspanne erreichte oder von einem Gegner vernichtet wurde.
»Ich bin eine von euch! Warum sollte ich euch bestehlen oder betrügen?«
Die Sprecherin der Hexen kicherte spöttisch. »Vielleicht bestiehlt oder betrügt dich jemand - wer kann es sagen? Du siehst durch das Auge alles, nicht aber die Zukunft!«
»Ich bin die Fürstin der Finsternis. Niemand kann mich bestehlen«, gab Stygia schroff zurück.
»Dennoch wird das Auge diese Höhlen nicht verlassen.«
Es war eine Feststellung, in der alle Macht und Autorität der Hexen lag, die Stygia bereits bewiesen hatten, was sie zuwege bringen konnten. Es hatte keinen Sinn, sich ihnen zu widersetzen. Aber diese erneute Demütigung war abermals etwas, das die Fürstin der Finsternis den Hexen niemals vergessen würde. Eines Tages würde der Augenblick kommen, in dem sie Rache nahm.
Aber noch ehe sie nach einer Möglichkeit suchen konnte, sich aus der Affäre zu ziehen, ohne endgültig ihr Gesicht zu verlieren, geschah etwas, mit dem vermutlich nicht einmal die drei alten Hexe gerechnet hatten.
»Das denke ich auch«, sagte eine harte Stimme laut. »Das Auge bleibt hier!«
***
Die Spinne schoß förmlich auf Zamorra herab. Der Dämonenjäger gab sich einen heftigen Ruck, legte alle Kraft hinein, über die er verfügte, und wußte dabei, daß er hundertprozentig erledigt war, wenn es ihm nicht gelang, sich loszureißen. Dann federte das Netz ihn nämlich wieder zurück und direkt in die Fänge der Spinne. Und mit ihrer Körperkraft war sie ihm auf jeden Fall überlegen, einmal ganz abgesehen von ihren Beißzangen, an denen Gift feucht schimmerte. Damit würde sie ihn lähmen - falls er nicht schon an den Bissen selbst verblutete -, und ihn dann in einen Kokon weben, bis das Gift seinen Körper verflüssigt hatte, so daß sie ihn einfach aufsaugen konnte.
Alle Kraft setzte er ein.
Der Stoff seines Hemdes riß leichter als
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