0514 - Der Schädeltempel
Illusionen hervorruft. Das bedeutet, daß er mit unserer Welt körperlich nicht zurechtkommt. Vielleicht sind die beiden Welten zu unterschiedlich. Vielleicht sind sie… äh… nicht kompatibel.«
»Sie meinen - er kann hier nicht leben, und Menschen nicht drüben? Aber dann wäre das Verschwinden in seine Daseinsspähre ia ihr sicherer Tod!«
»Es ist nicht bekannt, ob sie wirklich in seine Welt gelangen«, gab Raffael zu bedenken. »Der Sucher muß davon ausgehen, daß sie irgendwann seine so kleine wie gemeine Prüfung bestehen, wenn ich mich einmal so ausdrücken darf, und feststellen, ob die Entführten überlebt haben oder nicht. Im Negativ-Fall hätte er dann in Ihnen seinen Todfeind. Daran kann ihm aber nicht gelegen sein, Monsieur. Er will Sie als Freund oder wenigstens als Helfer gewinnen, das steht für mich fest.«
»Das könnte er wesentlich einfacher haben«, murmelte Zamorra.
»Verzeihung, Monsieur. Aber ich wage zu behaupten, daß sein Denken einer anderen Logik folgt als unseres. Vielleicht ist dieser Test, dem er Sie unterzieht, für sein Verständnis dringend erforderlich. Eine Katze spielt mit der Maus auch nicht, um sie zu quälen, sondern um zu testen, ob sie gesund oder krank ist. Stirbt die Maus schnell, ist sie ungenießbar, weil sie krank ist.«
Es war genau in diesem Moment, in dem der Gavvroval, diese kleine Flugechse, durch die splitternde Fensterscheibe hereingeflogen kam. Diesmal ohne die seltsame Mütze und ohne von dem seltsamen »Großonkel« verfolgt zu werden. Das kleine Biest landete auf Zamorras Arbeitstisch und schlug heftig mit den Schwingen. »Schnell, schnell!« krähte es. »Wir sind fündig geworden! Wir haben ihn!«
Der Bärtige kam ebenfalls durch das Fenster geklettert. »Schlechte Qualität«, mokierte er sich. »Wenig haltbar, diese Fenster. Du solltest den Glaser wechseln, Sklave.«
Der Gavvroval zeterte immer noch.
»Ja, ich hab’s doch gehört, Mistvieh!« fauchte der Sucher ihn an. »Na schön, dann hat die lange Suche doch noch Erfolg gehabt - wenn auch etwas anders, als ich ursprünglich dachte. Ich muß gestehen, daß ich fast einen Fehler begangen hätte.«
Zamorra erhob sich. Durch das zerstörte Fenster strich kalte Nachtluft herein. Aber natürlich war auch das wieder nur eine Illusion.
»Dann darf ich vielleicht endlich erfahren, was du von mir willst?«
»Du nicht«, sagte der Bärtige. »Er.«
Er deutete auf Raffael.
Der Gavvroval plusterte sich auf, wurde von einem Moment zum anderen riesengroß und warf sich auf den völlig überraschten Diener, um ihn mit einem einzigen Zuschnappen zu verschlingen. Sofort schrumpfte er wieder zusammen, bis er gerade noch spatzengroß war. Der Bärtige schwenkte den Hut und fing ihn damit auf, stülpte ihn sich auf den Kopf.
»Gehab’ dich wohl, Sklave. Und gräme dich nicht zu sehr.«
Er sprang zum Fenster und hinaus. Draußen zischte eine Art Luftschlitten an der Hauswand vorbei. Der Sucher landete auf dem Schlitten und raste davon.
Zamorra stürmte ihm nach. In einem aberwitzigen Versuch wollte er dem Bärtigen nachspringen, um den Luftschlitten ebenfalls noch zu erreichen.
Aber er prallte gegen die geschlossene Glasfläche des Fensters und wurde zurückgeworfen. Als er sich wieder aufrichtete, war am Nachthimmel nichts mehr zu sehen.
***
Zamorra bückte sich und nahm den Dhyarra-Kristall wieder vom Boden auf, der ihm entfallen war, als er gegen das Fenster prallte. Der Dämonenjäger preßte die Lippen aufeinander. Er hätte es geschafft, noch auf den Schlitten zu springen. Aber das zerstörte Fenster war ja nur eine Illusion gewesen…
Wie alles andere auch? Wie der Sucher und sein Gavvroval, diese seltsame Flugechse mit dem noch seltsameren Namen?
Waren dann auch die Verschwundenen gar nicht wirklich verschwunden?
An diese Hoffnung wollte Zamorra sich lieber doch nicht klammern. Er mußte davon ausgehen, daß sie tatsächlich in eine andere Welt entführt worden waren, wie auch immer das bewerkstelligt worden war. Und jetzt auch noch Raffael…
Natürlich. Auf den zweiten Blick war es logisch - wenn man dem Denken der fremden Entität folgte. Raffael war es gewesen, der wohl auf den richtigen Gedanken gekommen war und damit den »Test« bestanden hatte. Daß Raffael weder über parapsychische oder magische Fähigkeiten verfügte noch über entsprechendes Wissen und Können, hatte der Fremde dabei großzügig übersehen.
Er hatte behauptet, fast einen Fehler begangen zu haben - aber es
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