0515 - Der mordende Wald
»Wir müssen sicher sein, daß der Kelte uns keinen Schaden mehr zufügen kann. Ich wünschte, er wäre tatsächlich tot.«
Aber würden die neidvollen Götter ihm diesen Wunsch wirklich gewähren?
Die beiden Freunde verließen das befestigte Lager und folgten dem Flüchtigen. »Der Centurio bringt uns um, wenn er erfährt, daß wir ohne Befehl das Castellum verlassen haben«, brummte Marcus.
Remus lachte bitter auf.
»Er kann uns nur töten. Bei den Galliern und ihren Druiden wären wir wesentlich übler dran.« Und dabei mußte er wieder an Sena denken, der nicht nur einen Tod gestorben war, sondern Hunderttausende.
Remus haßte die Mörder seines Kameraden.
Wenn die Götter ihm den verfluchten Druiden in die Hand gaben, würde er ihn auf eine gleich qualvolle Weise töten.
Aber das blieb vermutlich nur ein Wunschtraum.
***
Die Morgenkälte weckte Zamorra. Er öffnete die Augen und sah durch hölzerne Gitterstäbe. Er versuchte sich zu bewegen und stellte fest, daß man ihn gefesselt hatte. Sein Amulett, das er im Moment der Zeitversetzung zu sich gerufen hatte und das ihm dann so seltsam weich vorgekommen war, war fort. Jene Unbekannten, die die Zeitreisenden im Moment ihrer Ankunft überfallen hatten, mußten es an sich genommen haben.
Zamorra versuchte es erneut zu rufen. Aber es gehorchte ihm nicht. Die Verbindung schien erloschen. Aber das war praktisch unmöglich. Es hatte nur eine Person gegeben, die in der Lage gewesen war, Merlins Stern mit einem Gedankenbefehl auszuschalten, und das war Leonardo deMontagne gewesen.
Der hatte aber zwischen seinem ersten Leben zur Zeit der Kreuzritter und seiner zweiten, vom Fürsten der Finsternis gewährten Existenz im 20. Jahrhundert im Höllenfeuer gebraten. Im 17. Jahrhundert jedenfalls hatte es ihn nicht auf der Erde gegeben, und somit konnte er das Amulett auch nicht abgeschaltet haben.
Zamorra konnte sich nicht vorstellen, daß es noch eine andere Möglichkeit gab, die magische Silberscheibe so vollständig zu blockieren. Es sei denn, man zerstörte sie…
Er sah sich weiter um.
Das hier war keinesfalls Château Montagne, weder in Gegenwart noch in Vergangenheit. Das hier war eher eine Art Räuberlager in Waldnähe.
Er befand sich in einem hölzernen Käfig, der aussah, als werde er normalerweise als Stall benutzt. Wo sich Nicole, Cristofero und der Gnom befanden, konnte Zamorra nicht sehen, aber er nahm an, daß man sie in ähnlichen Käfigen untergebracht hatte. Aber warum? Und wer hatte das getan? Vor allem: wo waren sie gelandet, wenn schon nicht am richtigen Ort?
Sicher auch nicht in der richtigen Zeit. Denn wenn dem Gnom etwas danebenging, dann gründlich.
Der Professor rollte sich an das Gitter heran und versuchte einen Eindruck von seiner Umgebung zu bekommen. Er sah eine Menge zwei- und vierrädriger Karren, deren Deichseln und Joche verrieten, daß Ochsen und ähnliche Zugtiere eingeschirrt werden konnten. Viele der Karren besaßen Pritschen und einfache, niedrige Bretterwände, andere waren zusätzlich mit Planen überspannt, und wieder andere besaßen große, feste Aufbauten wie Wohnwagen. Etliche waren als Käfigwagen konstruiert, hinter deren Gittern Federvieh scharrte, pickte und verhalten lärmte. Etwas weiter rechts befanden sich provisorisch eingerichtete Korrale mit Rindvieh, Pferden, Ziegen und Schafen, insgesamt eine beachtliche Stückzahl. Einige Männer bewachten die Tiere.
Zamorra stutzte.
Sie waren durchgehend hellhaarig, und einige von ihnen trugen das Haar hochgetürmt und offenbar mit einer gipsähnlichen Masse zu natürlichen, eigenwillig geformten Helmen verhärtet. Ihre Kleidung war sehr farbenfroh, sie trugen Schmuck - und Schwerter.
Zamorra stutzte.
Kelten?
So sollten sie doch ausgesehen haben, wenn man den Überlieferungen Glauben schenken durfte. Wenn das stimmte, dann hatte der Zeit-Zauber des Gnoms sie alle ganz entschieden weiter zurückgeworfen. Um 1000 oder 1500 zusätzliche Jahre… oder noch weiter in die Vergangenheit. Zamorra konnte es nicht einschätzen. Er war kein Historiker. Bill Fleming, sein einstiger Freund und Kampfgefährte in zahllosen Abenteuern, hätte es ihm vielleicht sagen können, anhand von Kleidung, Frisuren und angewandter Technik.
Er sah in die andere Richtung.
Dort standen zahlreiche Zelte, einige aus Stoff, andere aus Leder. Es gab aber auch eine Menge Decken auf dem Boden, die Menschen als Schlafstätten dienten. Ein paar Männer bewegten sich zwischen den Schlafenden hin und
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