0515 - Der mordende Wald
entfuhr es Remus; für ihn waren alle Bewohner in und nördlich der von Rom besetzten Provinz »Gallia Narbonensis« Gallier. Die Helvetier, die er hatte ausspähen sollen, gehörten nicht hierher. Sie kamen aus den Alpen und drängten in dieses Land. Es hieß, der Haeduerfürst Dumnorix habe sie eingeladen, in seinem Land zu spielen, nachdem die Sueben sie aus ihrer alten Heimat vertrieben hatten. Aus Gründen, die Legionäre wie Remus oder Marcus nicht nachvollziehen konnten, gefiel das dem Prokonsul Gaius Julius Caesar nicht, und er ließ ihnen zunächst von seinen Truppen den Weg verlegen. Aber die Helvetier wichen nordwärts aus, vermieden den Kampf.
Und jetzt sollte Diviciacus Rom um Hilfe gebeten haben?
»Angeblich haben die Helvetier die Großmut des Dumnorix schlecht vergolten«, brummte Marcus Remigius. »Diviciacus behauptet wohl, sie hätten Massaker unter den Haeduern angerichtet.«
»Aber Diviciacus ist Dumnorix’ Bruder«, entfuhr es Remus.
»Das macht die Sache besonders delikat«, nickte der Decurio. »Entweder ist die Botschaft des Diviciacus fingiert, oder die Gallier spinnen allesamt. Auf jeden Fall kommt Ärger auf uns zu. Bibracte wird sicher kein vergnügliches Sommerlager, sondern ein Schlachtort. Caesar will dieses Land befrieden, wie es so schön heißt. Das heißt, daß wir römisches Recht erzwingen. Das heißt weiter, daß wir dafür kämpfen müssen. Wir werden Kelten töten, und Kelten werden uns töten. Und Julius Caesar wird verdienen.«
»Davon sagte der Centurio nichts. Er nahm es auf die leichte Schulter.«
»Als der Befehl eintraf, nahm er es weniger leicht. Und dann erwischten wir auch noch diesen keltischen Spion, einen seltsamen Kauz… und nun sind alle betrunken. Von nur einem Becher Wein…«
Remus entsann sich, daß der Trunkene eben von einem »anderen« gelallt hatte. »Ihr habt einen Kelten gefangen? Wann?«
»In der Dämmerung. Ich weiß nicht, ob er ein Kelte ist. Seine Kleidung könnte jedenfalls keltisch sein. Aber sein ganzes Aussehen… so etwas habe ich noch nie gesehen. Warum fragst du nach der Zeit, mein Freund?«
Da berichtete Remus dem wohl einzigen nüchternen Mann im Casteilum von seinem Erlebnis.
»Und du siehst jetzt eine Verbindung zwischen Jupiters Blitz und dem ganzen Durcheinander und der Trunkenheit hier im Lager?«
»Ich sehe es zwar nicht, aber ich muß es befürchten«, sagte Remus. »Ein böser Zauber liegt über dem Land. Schau dir den dunklen Himmel an. Kein Stern schaut herab, Luna verweigert uns ihr Antlitz. Es ist eine böse Nacht. Alle sind trunken, und wenn die Kelten jetzt angreifen, können sie Tor und Schutzwall überwinden.«
»Ich glaube nicht, daß sie angreifen. Nicht in einer solchen Nacht«, sagte Marcus.
»Aber sie haben einen der ihren hier. Vielleicht ist er bereits gar nicht mehr gefangen, sondern öffnet die Tore, um seinesgleichen hereinzulassen.«
»Falls er überhaupt ein Kelte ist. Schau ihn dir an und verstehe meine Zweifel«, sagte Marcus Remigius.
Er erhob sich von seinem Lager und schlüpfte in eine Tunika; auf die Rüstung verzichtete er, weil sie umständlich anzulegen war, nicht aber auf sein Schwert. Von draußen kam die Stimme des Trunkenboldes. »Wwwo ischt der Kedelte? He, Ka-kamerad, hascht du ni-hicks aufgepascht? Nun ischt er weg. Ich musch ihn doch feschtnehmen!«
Remigius trat nach draußen.
»Scher dich in dein Zelt und schlaf deinen Rausch aus!« befahl er schroff.
Der Betrunkene wankte weiter - natürlich an seinem Zelt vorbei. Er begann zu singen. »Auf dem Weg von Rom zum Meer, kommt ein Leichenzug daher. Beim Jupiter, was bin ich froh - die Leich’ ist mein, Centurio«, grölte er lauthals durch das Lager. Remigius faßte sich an die Stirn. Der Sänger verlor sein Gleichgewicht und riß fast ein Mannschaftszelt nieder.
»Ihr Götter!« seufzte Remigius. »Womit hat Rom das nur verdient?«
Er zog Remus mit sich zu einem Zelt, vor dem gleich drei Wachen selig vor sich hin schlummerten. Der Decurio ignorierte die Schnarcher und trat ins Zelt. »Hier ist…«
Remus folgte ihm.
»Hier war der Gefangene«, verbesserte Marcus sich. Entgeistert starrte er auf die zerschmolzenen Ketten, mit denen man den Gefangenen gefesselt hatte. Und da lag auch noch ein durchsichtiger Topf, leer bis auf ein paar verschmierte Reste einer goldgelben Masse.
Remus bückte sich und griff danach. »Was ist das?« Er schnupperte. »Riecht wie Honig.«
»Der Bursche hatte es bei sich. Wir haben es ihm
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