0518 - Der Vampir von Versailles
Ihr müßt Euch mit dem begnügen, was menschlicher Erfindergeist bis zu diesem Tag entwickelt hat, ob Ihr wollt oder nicht.« Er fuchelte wild mit den Armen. »Ihr müßt den Verstand verloren haben, deMontagne! Ich kann doch nicht diesen Knecht auf die weite Reise schicken, uns eine Kutsche samt bewaffneter Eskorte zu meinem Schutz vom Castillo Montego zu holen! Es gibt Räuber an den Straßen, die den Boten allein des Esels wegen erschlagen würden, auf dem er reitet. Zudem würde das Grautier während der Tage hier fehlen und den zweirädrigen Karren«, er betonte es besonders, »nicht ziehen können. Und ich denke doch, daß Ihr den weiten Weg nicht auf des Schusters Rappen zurücklegen wollt! Mir jedenfalls steht der Sinn nach bequemerem Fortkommen!«
Er räusperte sich. »Nein, da ist es einfacher, bewaffnete Botenreiter von Versailles aus zu entsenden, daß man mich etwas später abholt. Zudem braucht der König meinen Rat; lange genug hat er ihn entbehren müssen, und es mag allerlei vertrackte Probleme geben, die ich ihm lösen kann. Und eine ganze Woche hier in dieser Herberge verweilen, bis die Kutsche vom Castillo käme? Brr, mich schaudert allein bei dem entsetzlichen Gedanken. Hier gibt’s Flöhe und Läuse! So groß!« Und er ballte eine Faust. »Blutgierig haben sie mich angestarrt in der Nacht; nur mühsam konnte ich mich ihrer erwehren.«
Nicole schmunzelte und deutete auf Zamorra und auf sich. »Wir beide sind nicht von Ungeziefer belästigt worden. Mir scheint, die Viecher haben einen ganz erlesenen Geschmack und mögen nur blaues Blut. Wie gut ich die Tierchen doch verstehe…«
Cristofero hob die Brauen. »Vielleicht habt Ihr die Bisse nur nicht bemerkt. Ihr seid ja nicht so feinfühlig wie unsereiner.«
In den Abendstunden kehrte der Knecht zurück und teilte mit, daß am nächsten Tag eine Kutsche käme. »Also noch eine Nacht, in der ich kein Auge zudrücken werde«, ächzte Cristofero, »weil sonst diese reißenden vielbeinigen Ungeheuer über mich herfallen und mich zur Ader lassen werden, bis kein einziger Tropfen Blut mehr in mir fließt! Ach, die Welt ist schlecht und herzlos! Aber ich werde diesem faulen Pack schon die Flötentöne beibringen! Einen Don Cristofero Fuego del Zamora y Montego auf den nächsten Tag vertrösten zu wollen, das ist ja wohl die Höhe! Ich geruhe entrüstet zu sein!«
Nicole stieß Zamorra an. »Nur gut, daß er nicht wirklich in unserer Zeit leben muß.«
»Prizipiell stimme ich dir zu, aber wieso kommst du gerade jetzt zu dieser Erkenntnis?«
»Sein elendig langer Name würde auf keinen Personalausweis und keine Scheckkarte passen.«
Zamorra schmunzelte. »Aber er könnte der Presse über die allsommerliche Saure-Gurken-Zeit hinweghelfen. Allein sein Name in der Schlagzeile füllte schon eine ganze Zeitungsseite.«
»Ich habe das gehört!« fauchte Don Cristofero zornig. »Ihr seid kulturlose Barbaren, mit denen ich kein Wort mehr sprechen werde!«
»Gott sei Dank«, ächzte Nicole. »Endlich!«
Zamorra schüttelte den Kopf. »Weißt du, was sein größter Fehler ist? Er ist inkonsequent. Freu dich also nicht zu früh…«
***
Den ganzen Tag über hatte Rebecca Deveraux sich nicht besonders wohlgefühlt und war ihren Pflichten eher nachlässig gefolgt. Mehrfach war sie ermahnt worden. Als die Abenddämmerung einsetzte, fühlte sie sich erleichtert.
Weniger, weil ihre Dienste jetzt bis zum kommenden Morgen nicht mehr gebraucht wurden. Es war etwas anderes, etwas, das sie nicht erklären konnte.
So müde und gleichgültig sie sich den ganzen Tag über gefühlt hatte, so unruhig wurde sie gegen Abend, aber erst, als sie in ihrer Kammer verschwand und den Schlüssel hinter sich umdrehte, wurde ihr der Grund dafür bewußt.
Nicolas le Roumain!
Während des Tages hatte sie nicht an ihn gedacht. Mit dem Erwachen war er aus ihrer Erinnerung verschwunden, aber jetzt entsann sie sich wieder an ihn. Zögernd trat sie ans Fenster, öffnete es und sah nach draußen. Es war dunkel geworden. Der Mond stand noch auf der anderen Seite des Gebäudes, aber sein Licht zauberte lange Schatten.
Sie fragte sich, wie er hereingekommen und wieder verschwunden war. Alles war so unglaublich. Sein Schweben, die Höhe des Fensters… sie war sicher, daß er keine Leiter benutzt hatte. Und die Baugerüste standen am gegenüberliegenden Seitentrakt.
Ein geheimnisvoller, unheimlicher Mann. Er faszinierte sie auf seltsame Weise. Sie trat einen Schritt zurück und zog die
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