0519 - Schatten des Grauens
des Schattens fiel ihm auf.
Der Mann mit dem Allerweltsgesicht, das man rasch wieder vergaß, tastete unter seine Weste und berührte eine handtellergroße Silberscheibe. »Kontrolliere das«, raunte er.
Doch das Amulett konnte ihm nur verraten, daß es sich um ein Para-Phänomen handelte und nicht um einen Trick. Es war aber nicht in der Lage, einzugreifen und den Schatten mit seiner eigener Magie zu berühren.
Der Beobachter in der Menge war darüber nicht enttäuscht. Er hatte kaum etwas anderes erwartet, doch er folgte der Frau jetzt in gebührendem Abstand, ständig bemüht, dabei nicht aufzufallen.
»Ein Schatten, der sich getrennt vom Körper bewegen und auch handeln kann«, murmelte er. »Und ich dachte immer, diese Fähigkeit sei etwas Einmaliges im Multiversum gewesen… Wer, bei Put Satanachias Ziegenhörnern, ist diese Frau?«
Er mußte mehr über sie in Erfahrung bringen.
***
Ich bin eine Mörderin! dachte Francine immer wieder. Ich habe Claude Arpad umgebracht! Ich habe seine Bremsleitungen beschädigt. Mein Schatten war es. Ich habe gemordet!
Aber niemand würde sie deshalb vor Gericht stellen können. Niemand würde ihr glauben, wenn sie sich selbst bezichtigte. Es würde ihr auch niemand diesen Mord nachweisen können. Wie denn auch? Ein selbständig handelnder Schatten…?
Ein mordender Schatten. Hatte ihr Unterbewußtsein ihn gesteuert? Beide Male? Beim ersten Mal im Zorn, beim zweiten Mal, um einen gemeinen Dieb nicht ungeschoren davonkommen zu lassen?
So durfte es nicht weitergehen. Sie wußte jetzt, daß sie die Eigenständigkeit ihres Schattens als Realität hinzunehmen hatte, ein Phänomen, das sie nicht einfach verhindern konnte. Aber es mußte eine Möglichkeit geben, den Schatten bewußt zu lenken. Vielleicht konnte sie ihn durch ihre Wünsche, durch ihr Denken steuern. Sie mußte es versuchen. Denn wer konnte sagen, was er als nächstes tun würde, wenn er nur den Impulsen ihres Unterbewußtseins nachgab? Wieder ein Mord? Francine Belo traute sich selbst nicht mehr über den Weg! Und daß der Mord ausgerechnet an Claude Arpad stattgefunden hatte, machte ihr noch mehr zu schaffen. Sicher, sie hatte dem Mistkerl die Pest an den Hals gewünscht, aber zwischen Denken und Tun war doch ein himmelweiter Unterschied - nur hatte ihr Unterbewußtsein ihr diesmal das Tun abgenommen und den Schatten zum Mörder werden lassen…
Sie mußte ihn unter Kontrolle bekommen.
So begann sie zu experimentieren…
***
»Stinklangweilig!« behauptete Nicole Duval und war der Ansicht, mit diesem Wort alles ausgesagt zu haben. »Wenn wir nicht bald wieder was Vernünftiges zu tun bekommen, rosten wir beide glatt noch ein!«
Professor Zamorra schmunzelte. Ihm kam die Ruhepause ganz recht. Er konnte endlich wieder einmal in alten Büchern lesen, um sein Wissen über Magie, Okkultismus und Para-Phänomene zu erweitern. Außerdem fand er Zeit, ein paar Artikel für Fachzeitschriften zu schreiben, die ihm schon seit langem auf der Seele lagen, und eine Vorlesungsreihe vorzubereiten, um die ihn der Dekan des Fachbereichs Parapsychologie an der Sorbonne gebeten hatte. Zamorra hatte dort vor etlichen Jahren, als er noch etwas mehr Zeit hatte erübrigen können, einen festen Lehrstuhl für Parapsychologie innegehabt, und sein Ausscheiden aus dem Lehrbetrieb hatte eine schmerzliche Lücke in ihm hinterlassen. Er spielte mit dem Gedanken, wieder einmal für ein Semester an die Universität zurückzukehren - die Vorlesungszeit des Sommersemesters war vielleicht kurz genug, um kalkulierbar zu sein. Allerdings wollte er sich darüber jetzt noch keine konkreten Gedanken machen. Zuerst mußte er die ganze Sache ohnehin mit dem Dekan durchsprechen.
In den letzten Wochen war es »an der Front« ziemlich ruhig gewesen. Es schien, als mache das Dämonenreich Urlaub. Einmal hatte Zamorra mehrere Tage lang einem Vampir nachgespürt und ihn schließlich auch zur Strecke gebracht. Mehr hatte sich nicht abgespielt, und Zamorra begann bereits mißtrauisch zu werden. Eine so lange anhaltende Ruhephase hatte es seit vielen Jahren nicht mehr gegeben. Hoffentlich kam es hinterher nicht um so dicker…
Von der unfreiwilligen Zeitreise durch die Vergangenheit hatten Nicole und er sich längst erholt. Don Cristofero und der schwarzhäutige, gnomenhafte Zeit-Zauberer befanden sich wieder dort, wo sie hingehörten, nämlich im Jahr 1675, und Zamorra hätte eigentlich aufatmen können, wenn es da nicht immer noch die Spannung im
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