052 - Die Leichenkammer des Dr. Sarde
mit dem Fuß nach innen, ohne Yvette
loszulassen.
Dann schob er die Prostituierte mit einem heftigen Ruck von sich, so dass
sie nach vorn stürzte, sich nicht mehr fangen konnte und auf den kahlen,
steinernen Boden fiel.
Schwer schlug hinter ihr die massive Tür ins Schloss. Sarde drehte zweimal
den großen Schlüssel herum.
Die Falle hinter ihr war zu.
Yvette hob langsam den Blick und starrte in das dämmrige Gewölbe, das sich
um sie herum ausbreitete.
Sie konnte nicht schreien, sie war unfähig, in diesen Sekunden überhaupt zu
begreifen, in welch gefährliches Abenteuer sie hier geraten war.
In ihren Augen spiegelte sich das Entsetzen, als ihr die Umgebung, in der
sie sich jetzt befand, klar wurde.
Eines verstand sie auf Anhieb: lebend würde sie dieses angebliche Labor wohl nicht verlassen!
Sie befand sich in einer Leichenkammer. Sie würde hier bleiben.
●
Der junge Bestattungsunternehmer wälzte sich stöhnend auf die Seite.
Sämtliche Rippen taten ihm weh.
Als Jean Ecole, der Partner des Bestattungsunternehmens Ecole et Gudeau an diesem Morgen
erwachte, hatte er in der Tat das Gefühl, eine ganze Nacht durchgezecht und
durchgeliebt zu haben.
Er räkelte sich und griff um sich.
Er begriff, dass er auf dem Teppich lag.
Es dauerte fast fünf Minuten, ehe er voll zu sich kam. Er hörte Schritte in
der Nähe. Geschirr klapperte in der Küche.
Sein erster Gedanke war Mireille – und er öffnete schon den Mund, um ihren
Namen zu rufen, als er sich erinnerte, dass sich auch noch Françoise in der
Wohnung – genauer auf dem Balkon – befinden musste.
Er warf einen Blick auf seine Uhr. Zehn Minuten vor neun!
Helles Tageslicht flutete durch die Vorhänge.
Wie von einer Tarantel gestochen, sprang er auf die Beine. Er musste sich
an der hohen Sessellehne festhalten, weil ihm durch das rasche Aufstehen
schwindlig wurde. Er schüttelte den Kopf. »Man wird auch nicht jünger«,
murmelte er wie im Selbstgespräch vor sich hin. Mit einer fahrigen Bewegung
strich er sich durch die Haare, zog sein Hemd zurecht und schlüpfte in seine
Hose. Ecole warf einen Blick hinaus auf den Balkon.
Keine Spur von Mireille!
Er ging durch das geräumige Wohnzimmer und warf auf seinem Weg in das Bad
einen Blick in die Küche. Françoise stand an der Kaffeemaschine und war damit
beschäftigt eine Tasse mit dem braunen Getränk zu füllen.
Leise schlich Ecole sich von hinten an. In dem Augenblick, als sie die
Tasse auf den Tisch stellte, packte er das Mädchen blitzschnell an den Hüften.
Mit einem schrillen Aufschrei wirbelte Françoise herum. In der Drehung hob
Ecole sie auf die Tischplatte, so dass ihr kurzer Rock weit über ihre
wohlgeformten Schenkel rutschte.
»Puh, hast du mich jetzt erschreckt«, stieß sie hervor. Sie näherte ihr
Gesicht dem seinen. Er küsste sie oberflächlich. Francoises Parfüm war etwas
herber und schwerer. Er mochte diesen Duft jetzt nicht, denn Mireilles Parfüm
lag ihm noch in der Nase.
Mireille ...!
Er musste ständig an sie denken. Diese ungewöhnliche Frau hatte ihn
fasziniert, wie er es nicht für möglich gehalten hätte.
»Ich muss ins Büro«, murmelte er matt. Er fühlte sich müde.
»Wir müssen getrunken haben wie die Pferde«, bemerkte Françoise. Auch sie sah
nicht gut aus. Ihre Haut wirkte welk.
»Es war nicht einmal die Menge«, entgegnete Ecole. »Ich fürchte, wir haben
ziemlich viel durcheinander getrunken.«
Er versuchte zu lächeln. Er ließ sie los und wankte auf unsicheren Beinen
ins Bad. Sekunden später stand er unter der rauschenden Dusche und brauste sich
eiskalt ab. Als Françoise das Geräusch hörte, kam sie ebenfalls ins Bad,
streifte ihr Kleid und ihre Unterwäsche ab und nahm von Jean Ecole, der mit dem
Duschen fertig war, die Brause in die Hand. Während der Bestattungsunternehmer
sich kräftig abfrottierte, sagte Françoise mit lauter Stimme: »Auf diese Idee
hätte ich gleich kommen sollen, Jean! Kaltes Wasser weckt die Lebensgeister.
Ich aber habe mich sofort auf einen Kaffee gestürzt!« Sie lachte, während sie
sich unter der Dusche drehte und wandte und wie ein Ferkel quietschte.
Prustend und schnaufend kam sie schließlich aus der Ecke hervor. Sie griff
nach dem Handtuch und trocknete sich ab.
»Wie lange bist du schon auf den Beinen?«, fragte Ecole beiläufig, der sich
Gedanken über gewisse Dinge machte, die Mireille betrafen.
»Knapp zehn Minuten. Ich bin kurz vor dir aufgewacht.« Sie lachte. »Ich
habe dich erst gar nicht
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