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052 - Die Leichenkammer des Dr. Sarde

052 - Die Leichenkammer des Dr. Sarde

Titel: 052 - Die Leichenkammer des Dr. Sarde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larry Brent
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winzigen Korridorfenster. Yvette war
todmüde, doch sie gab nicht auf. Sie wollte wissen, wann Blanche aus dem Labor
zurückkam. Es war in dieser Dämmerung, die jetzt herrschte, zu gewagt, noch vor
der Tür zu warten. Auch in der etwas finsteren Nische konnte sie sich nicht
mehr völlig sicher verbergen. Wenn Blanche herauskam, musste sie Yvette sehen.
Die Prostituierte blickte sich um. Unter dem dick aufgetragenen Make-up sah man
ihr an, wie bleich und abgespannt sie wirklich aussah.
    Sie ging die ausgetretenen steinernen Stufen in die Höhe. Die hölzerne
Treppe zu ihrem Zimmer wagte sie nicht zu betreten. Sie fürchtete, die
knarrenden Stufen würden Blanche oder Dr. Sarde alarmieren.
    Sie wusste selbst nicht, was sie eigentlich bewog, so lange auszuharren.
Aber sie brachte es einfach nicht fertig, jetzt auf ihr Zimmer zu gehen.
    Hinter dem Treppenaufgang zum Keller wartete sie. Yvette sorgte dafür, dass
die nur zwei Meter entfernte Toilettentür offenstand, so dass sie sofort nach
dort eilen und sich verstecken konnte, wenn Blanche auftauchte.
    Sie brauchte nicht mehr lange zu warten.
    Die Tür unten öffnete sich plötzlich. Ganz leise klappte sie wieder zu.
    Und dann hörte sie die Schritte auf den steinernen Stufen.
    Es waren die Schritte einer Frau. Blanche lief schneller als gewohnt.
Beschwingt, beinahe heiter, schoss es Yvette durch den Kopf.
    Es war da eine Leichtigkeit in ihrem Gang, der sie überraschte.
    Die junge Prostituierte wich zurück. Sie verschwand hinter der Toilettentür
und drückte sie spaltbreit zu, als sie einen Zipfel des violetten Morgenmantels
von Blanche erblickte.
    Die alte Blanche hielt den Kopf gesenkt. Mit raschen Schritten näherte sie
sich der in die oberen Stockwerke führenden Treppe.
    Yvette konnte in den ersten Sekunden nach dem Auftauchen der Alten nicht
viel mehr sehen als deren violetten Morgenmantel. Sie wagte nicht, die Tür der
Toilette weiter aufzudrücken, aus Furcht, Blanche würde sie entdecken.
    Sie sah, wie Blanche an der Tür vorbeikam und dann die knarrenden Stufen
hochlief. Als sie den Treppenabsatz herumkam, drehte sie sekundenlang der
lauernden Yvette das volle Gesicht zu.
    Die Augen der Beobachterin weiteten sich.
    Yvette musste zweimal hinsehen. Sie glaubte, ein Spuk narre sie.
    Oben auf der Treppe – das war nicht die alte Blanche, die Besitzerin dieses
Hauses! Die Frau da oben war mindestens vierzig
Jahre jünger !
    Sie hatte dunkle Haare, ein frisches, glattes Gesicht. Sie war schön. Sie
hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Blanche – sie trug sogar deren Morgenmantel
– aber es war nicht Blanche!
    Plötzlich fiel der Lauernden etwas auf, was sie entsetzte.
    Sie erinnerte sich der Narbe, die die Alte am rechten Nasenflügel trug.
    Diese junge Frau, die im Augenblick um den Treppenabsatz verschwand, hatte
die gleiche Narbe an derselben Stelle !
    Yvettes Augen wurden hart. Sie wartete, bis die Tür oben im zweiten
Stockwerk zuklappte.
    Die junge Unbekannte war wieder im Haus. Und sie befand sich ganz
offensichtlich in der Wohnung von Blanche.
    Yvette war ratlos, verwirrt und zugleich neugierig.
    Es gab ein Geheimnis um Blanche, um Sarde, und sie hatte es vermutet. Nun
hatte sie den ersten Hinweis.
    Wieso kam die junge Unbekannte aus dem Labor?
    Weshalb trug sie Blanches Morgenmantel?
    Yvette hätte sich jetzt unmöglich auf ihr Zimmer begeben und schlafen
können. Sie fühlte sich mit einem Mal wieder vollkommen munter.
    Vorsichtig verließ sie ihren Platz hinter der Tür und suchte über den
Hintereingang die düstere Kneipe auf, in der sie so oft herumhockten, sich
erzählten und die Männer ausnahmen.
    Fast lautlos schlich sie durch den düsteren Raum, näherte sich dem Telefon,
das auf einem braunen Tischchen neben der Theke stand und wählte eine Nummer.
Es dauerte eine geraume Weile, ehe sich auf das Läuten jemand meldete.
    »Ja?«, fragte eine verschlafene Stimme.
    »Ich bin's, Marcel.« Yvettes Augen waren in ständiger Bewegung, nur mühsam
konnte sie die Nervosität, unter der sie litt, verbergen.
    »Es darf nicht wahr sein!«, gähnte Marcel am anderen Ende der Strippe. Er
atmete tief durch. »Seit wann bist du unter die Frühaufsteher gegangen?«
    »Ich bin nicht unter die Frühaufsteher gegangen. Ich war noch gar nicht im
Bett, Marcel!«
    Yvette leckte sich über die Lippen. Obwohl sie sehr leise sprach, kam ihr ihre
Stimme in dieser dämmrigen Kneipe immer so laut vor.
    »Oohh.« Er war erstaunt. »Dann floriert das Geschäft nicht?«

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