052 - Die Schlangengrube
Unbefriedigt kehrte der Dämonenkiller zum Rover zurück. Er kam an Anatol Drago vorbei. Der untersetzte, stämmige Mann kniff die Augen zusammen, sagte aber nichts.
Im Rover war es kalt geworden, doch Phillip und Don Chapman waren warm angezogen und hatten sich in eine Decke gehüllt.
»Du bleibst vorerst hier, Don«, sagte Dorian. »Später, während der Abendvorstellung, wirst du dich in den Wohnwagen umsehen. Es dauert noch eine Weile. Hoffentlich wird es dir nicht zu kalt und zu langweilig.«
»Frieren werde ich nicht und Warten habe ich gelernt«, antwortete der Puppenmann.
Dorian schloss den Wagen ab und ging mit Phillip zu den Wohnwagen und dem Schauzelt der Amalfis. Er verzichtete darauf, noch andere Schausteller zu befragen. Auch von ihnen hätte er nichts anderes zu hören bekommen als Vorurteile, Verleumdungen und Klatsch.
Dorian und Phillip gingen zuerst in den Wohnwagen der alten Zarina. Sie hatte noch keine Kundschaft. Nicht allzu freundlich sah sie Dorian und dem Hermaphroditen entgegen. Zarina hatte Dorian noch immer nicht ganz verziehen, dass er sie hereingelegt und bis zu den Wohnwagen der Amalfis gefahren hatte.
»Was willst du schon wieder hier?«, fragte sie.
»Wir wollen den Dämon zur Strecke bringen, der sich in der Amalfi-Sippe verbirgt«, antwortete der Dämonenkiller.
Er ließ die gnostische Gemme vor dem Gesicht der Alten baumeln. Der Rabe auf ihrer Schulter schlug mit den Flügeln und krächzte. Die Katze in der Ecke fauchte und machte einen Buckel. Die alte Zarina verzog jedoch keine Miene. Ein Wink, und die Tiere waren ruhig.
Sie musterte Phillip und schüttelte den Kopf. »Bei mir seid ihr an der falschen Adresse. Ich bin ganz sicher kein Dämon. Was für ein Wesen hast du da mitgebracht, Dorian Hunter? Eine Ahnung steigt in mir auf. Wo ist meine Kristallkugel? Ich will Gewissheit haben.«
Sie kramte die Kristallkugel aus einer Kiste hervor. Phillip lächelte unergründlich.
Zarina starrte mit glasigen Augen in die Kristallkugel. »Er ist es«, murmelte sie, »der geheimnisvolle Hermaphrodit, von dem die Sagen künden. Nur alle paar hundert Jahre wird ein solches Geschöpf geboren. Die Dämonen fürchten es mehr als alles andere.« Ihre Augen wurden wieder klar. Sie wandte sich Phillip zu. »Heil dir, du Auserwählter des Schicksals!«
Phillip lächelte nur. Er nahm die Hand der Alten und drückte sie sanft. Jetzt war Dorian überzeugt, dass die alte Zarina kein Dämon war. Für Dämonen war die Berührung des Hermaphroditen lähmend, zuweilen sogar tödlich.
Dorian versuchte es auf andere Weise.
»Sie sehen, dass ich einen mächtigen Verbündeten und die besten Aussichten habe, den Dämon zur Strecke zu bringen«, sagte er. »Die Amalfis müssen einfach mit mir zusammenarbeiten, Zarina. Oder sollen noch mehr Menschen ein schreckliches Ende finden wegen des albernen Ehrenkodexes Ihrer Sippe? So nehmen Sie doch Vernunft an!«
Die Tradition, in der Zarina erzogen worden war und mehr als neunzig Jahre gelebt hatte, war zu stark in ihr.
»Nur das Sippenoberhaupt kann diese Entscheidung treffen«, sagte sie. »Ihr müsst zu Raffael Amalfi gehen. Er fühlt sich im Moment aber sehr schlecht und wird heute Abend vielleicht gar nicht auftreten können. Der Teufel steckt in seinen Eingeweiden. Das kommt davon, weil er Eisen, Messer, Glas, Feuer und alles Mögliche gefressen hat und das über viele Jahre hinweg. So etwas kann nicht gut gehen.«
»Wo finden wir den Nadelkopf Pancho Sequila?«, fragte Dorian. »Ihn habe ich heute Vormittag nicht zu sehen bekommen.«
»Er hätte eigentlich da sein müssen. Er wohnt mit den Kindern der beiden Liliputaner im umgebauten Bus. Jeder von der Sippe kann euch ihren Raum zeigen.«
»Wir werden ihn uns ansehen«, sagte Dorian. »Und dann wollen wir mit Raffael Amalfi sprechen. Sie haben keinen Verdacht, wer der Dämon sein könnte, Zarina?«
Die Alte schüttelte den Kopf. »Und wenn ich es wüsste, dürfte ich es nicht sagen. Es ist Sache der Sippe.«
Dorian war es, als liefe er immer wieder gegen eine Mauer. Es gab eine Grenze, über die er bei den Amalfis ganz einfach nicht kam.
Er ging mit Phillip zum umgebauten Bus hinüber. Anatol Drago stand bereits als Ausrufer auf der Vorbühne des Schauzeltes und machte Reklame für die Abendvorstellung. Obwohl es kalt war, stand Sheila neben dem Ausrufer, nur mit einem ganz knappen Gewand angetan. Manchmal ließ sie die Hüften kreisen und den Bauch rotieren, warf den Vorübergehenden und den
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