052 - Die Schlangengrube
liegenden Matteo ein. Die Peitschenschnur hinterließ blutige Striemen. Stefan rannte davon.
»Zurück, Stefan! Trag deinen Bruder fort!«
Stefan gehorchte, obwohl er noch ein paar Peitschenhiebe abbekam. Er wagte es nicht, sich gegen das Sippenoberhaupt aufzulehnen.
Dorian staunte. Ein so sklavischer Gehorsam war ihm unbegreiflich, und er hätte Raffael nicht zugetraut, dass er die Sippenmitglieder derart in der Gewalt hatte.
Stefan trug den ächzenden Matteo um das Schauzelt herum. Dorian klopfte sich den Schmutz von der Jacke.
»Ich danke Ihnen«, sagte er zu Amalfi.
»Bedanken Sie sich bei der alten Zarina! Ich wollte eigentlich nicht eingreifen, aber sie faselte von Blutvergießen und jagte mich los. Meinen Söhnen schaden die Peitschenhiebe nichts. Sie denken, der Alte lässt nach, und sie können machen, was sie wollen. Aber so weit ist es noch nicht. Mein Vater hat noch mit fünfundsiebzig Jahren den stärksten Mann der Sippe mit dem Ochsenziemer verprügelt, weil er unverschämt zu ihm gewesen war. Und ich bin gerade erst fünfundfünfzig geworden.«
»Sie können gut mit der Peitsche umgehen, Amalfi.«
Der beleibte Zigeuner nickte und grinste. »Ich war einmal Peitschenakrobat und Messerwerfer, ehe ich Allesfresser und Feuerspucker wurde. Die Narbe auf meiner rechten Backe rührt von einem Peitschenduell her, das ich mit einem Nebenbuhler wegen Louretta austrug. Hätte ich ihn nur gewinnen lassen.«
Dorian ging zu seinem Wagen.
»Seien Sie vorsichtig, Amalfi!«, sagte er. »Im Notfall benutzen Sie die gnostische Gemme, die ich Ihrer Tochter Lucia geschenkt habe, falls Sie es mit dem Dämon zu tun bekommen. Wollen wir nicht doch zusammenarbeiten? Mein Angebot gilt immer noch.«
Amalfi schüttelte den Kopf. »Ich wäre ein schlechter Sippenführer, wenn ich es zuließe, dass sich Außenstehende in unsere intimsten Angelegenheiten einmischen. Gehen Sie, Hunter! Und kommen sie möglichst nicht wieder! Vielleicht greife ich das nächste Mal nicht ein, wenn meine Söhne mit dem Messer auf Sie losgehen.«
»Ich komme wieder, Amalfi. Verlassen Sie sich darauf! Ich werde diesen Dämon zur Strecke bringen – ob mit Ihrer Hilfe oder ohne.«
Dorian stieg ein und fuhr davon. Raffael Amalfi sah ihm mit gerunzelter Stirn nach.
In der Jugendstilvilla angekommen, suchte Dorian Donald Chapman auf. Der Zwergmann hörte sich geduldig an, was Dorian ihm erzählte.
»Hervio Masto und Louretta Amalfi sind also die Hauptverdächtigen«, sagte er. »Wie sollen wir weiter vorgehen?«
»Heute Abend gehen wir wieder hin«, sagte der Dämonenkiller. »Du wirst die Wohnwagen durchsuchen, Don, und ich will Phillip mitnehmen. Von ihm verspreche ich mir allerhand. Der alten Zarina will ich auch noch einmal auf den Zahn fühlen. Und diesem Freak, an den ich bisher überhaupt noch nicht herangekommen bin.«
»Was für ein Dämon verbirgt sich in der Schau? Was glaubst du?«
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Dorian wahrheitsgemäß. »Aber das werden wir bald herausfinden.«
Sie gingen ins Esszimmer, wo Miss Pickford die Tafel gedeckt hatte.
Der Dämonenkiller und der Puppenmann bildeten ein äußerst ungleiches Paar. Don Chapman war nur noch dreißig Zentimeter groß, seit er dem Puppenmacher Roberto Coppello in die Hände gefallen war. Er hatte sich damit abfinden müssen, für den Rest seines Lebens so klein zu bleiben. Für den ehemaligen Secret Service Top Agenten und Frauenhelden war das nicht leicht gewesen. Doch von Dorian Hunter und seinen Gefährten wurde er als vollwertig anerkannt und in der Bekämpfung der Dämonen hatte er eine Lebensaufgabe gefunden.
Coco Zamis, Phillip und Trevor Sullivan saßen bereits zu Tisch.
Phillip war ein geheimnisvolles Wesen, ein Hermaphrodit mit blondem, schulterlangem Haar und engelhaft anmutenden Gesichtszügen. Er war kein Mensch und kein Dämon; er war überhaupt kein normales Lebewesen und verfügte über geheimnisvolle und übernatürliche Kräfte, obwohl er einem Außenstehenden eher als debil erscheinen musste. Phillip war ein lebendes Orakel; es war nicht leicht, aus ihm klug zu werden.
Coco fragte Dorian nach seinen Erlebnissen auf dem Rummelplatz. Er antwortete ausweichend. Auch Trevor Sullivan wollte Näheres wissen; viel erfuhr jedoch auch er nicht.
Miss Pickford saß mit zu Tisch. Sie hatte nur ein paar Brocken der Unterhaltung aufgeschnappt und wusste kaum, worum es eigentlich ging.
»Da habe ich neulich in einem meiner Horrorbücher von einer tollen
Weitere Kostenlose Bücher