0520 - Das blaue Einhorn
er jeden Tag damit zu tun… und doch war es auf eine Weise, für die er keine Erklärung fand, anders. Aber auch mit diesem anderen schien er bereits einmal Kontakt gehabt zu haben.
Als er nachstieß, floh es vor ihm.
Aber da war ein Weg.
Eine Spur.
Einer Spur kann man folgen. Zamorra mußte jetzt nur noch herausfinden, wie.
***
Mostaches Telefonat mit Nicole war nicht ungehört verklungen. Der Wirt hatte Stygia zwar nicht mehr auf der Straße gesehen, aber sie war noch in der Nähe. Und sie belauschte sein Gespräch; sie hatte damit gerechnet. So bekam sie aus dem Dialog zwischen Nicole und Mostache mit, daß eine ganze Menge mehr Personen diesen seltsamen Traum empfunden hatte, und auch, daß Mostache sie durchschaut hatte als das, was sie war.
Aber das half ihr immer noch nicht weiter, es brachte keine wirklich neuen Informationen - außer der Erkenntnis, daß Zamorra vermutlich in den nächsten Stunden recht beschäftigt sein würde.
Und daß der falsche Julian nicht bei ihm war.
Um dieses Wesen aufzuspüren, mußte die Dämonin einen anderen Weg beschreiten. Sie kehrte in die Schankstube zurück, wo Mostache gerade den Telefonhörer auf die Gabel gedrückt hatte. Seine Augen wurden groß, als er die Dämonenfürstin erkannte.
Stygia machte ein paar schnelle Fingerbewegungen und hatte Mostache sofort unter ihrer Kontrolle. »Zeige mir genau den Platz, an dem der falsche Julian Peters gesessen hat!«
»Der falsche…?« ächzte Mostache, mußte aber gehorchen. Er wies auf den Stuhl am kleinen Rundtisch unter dem Fenster.
»Dein Blut wird mir zeigen, wo ich dieses Wesen finde«, sagte Stygia.
Mostache hatte keine Chance, sich zu wehren. Er war im Bann der Teufelin gefangen.
Starr schwebte er in der Luft, getragen von ihrer Magie, und sah mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen, wie sein Blut auf den Stuhl tropfte und ein Bild zeichnete, das nur Stygias Augen zu verwerten vermochten Er konnte nicht einmal um Hilfe schreien.
***
Julian runzelte die Stirn. Etwas stimmte nicht. Wieso kam das Einhorn jetzt aus einer ganz anderen Richtung hierher zurück? Ausgerechnet jetzt?
Daß es nicht ebenso wie die eingefrorene, fast durchsichtige »Stygia« zwischen den Felsen zu finden gewesen war, darüber machte er sich keine Gedanken. Schließlich wußte er ja, daß das andere Wesen das Einhorn mißbraucht hatte. Aber er selbst hatte es jetzt nicht zu sich gerufen. Er hatte es ja derzeit gar nicht unter seiner direkten Kontrolle, hätte ihm erst wieder einen Gedanken widmen müssen.
Sollte die fremde Entität schon wieder - oder sogar immer noch - die Kontrolle über das Einhorn ausüben? Dann war sie möglicherweise noch stärker, als er gedacht hatte. Auf jeden Fall aber stellte sie damit eine bodenlose Dreistigkeit unter Beweis.
Er würde es gleich feststellen.
Der Hufschlag war jetzt ganz nah. Das Einhorn galoppierte nicht mehr, sondern kam im Schrittempo aus dem Durchlaß zwischen den Felsen hervor. Als es Julian sah, blieb es stocksteif stehen und senkte den Kopf. Nervös scharrte es mit den Vorderläufen auf dem harten Lehmboden.
Julian schnalzte mit der Zunge und streckte die Hand aus. »Komm hierher.«
Das Einhorn hob den schönen Kopf. Es hielt ihn etwas schräg, bewegte ihn hin und her, schien die Umgebung sorgfältig zu kontrollieren.
»Hierher!« wiederholte der Träumer und schlug mit der Handfläche gegen den Oberschenkel. »Zier dich nicht. Gehorche mir.«
Das Einhorn schüttelte die Mähne und schnaubte. Dann setzte es sich langsam, sehr zögernd in Bewegung -rückwärts. Es wollte wieder in den Spalt zwischen den Felsen zurückweichen!
Daß eine seiner Traumschöpfungen ausgelegt hatte, um Abwechslung zu bekommen. Doch er wußte, daß das hier nicht der Fall war. Das war der letzte Beweis, daß das Einhorn und damit ein Teil seiner Träume sich unter fremder Kontrolle befanden.
Damals, vor langer Zeit, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren, hatte sich das Fremde in seiner Traumwelt zwar bewegt und war nicht beeinflußbar gewesen, hatte aber selbst nicht versucht, die Kontrolle an sich zu reißen. Sein jetziges Verhalten kündete dagegen von Aggressivität und Machtstreben. »Aber der einzige, der hier nach Macht zu streben hat, bin ich selbst«, murmelte Julian ironisch.
Er konzentrierte sich darauf, grundlegende Veränderungen in seiner Traumwelt vorzunehmen - zum Beispiel, das Einhorn entweder ganz auszulöschen oder es mit einer inneren Veranlagung zu versehen, die es
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