0520 - Das blaue Einhorn
Gegenspieler reagieren.
Und Julian hatte Heimspiel.
Noch …
***
»Mostache hat gerade eben, vor ein paar Sekunden, angerufen«, begrüßte Nicole den zurückkehrenden Zamorra. »Stygia hat dich knapp verfehlt. Sie hat sich wohl nach Julian erkundigt, und Mostache hat ihr gesagt, ihr hättet zusammen seine Schnapsbude verlassen. Er war also tatsächlich da, wie ich aus seiner Rede ersehen konnte.«
»Stygia, so so«, murmelte Zamorra. »Ob die auch ein Trugbild gewesen ist?«
»Was willst du damit sagen?« Nicole faßte Zamorra am Arm und zog ihn zu einem Sessel. »Was ist passiert? Aus Mostache war nicht viel herauszubekommen, und er war auch ziemlich nervös. Stygia hat sich ihm zwar nicht mit Namen vorgestellt, aber er hat sie als die Einhorn-Mörderin aus dem Traum wiedererkannt.«
»Und Julian war nicht Julian. Etwas anders hatte seine Gestalt angenommen.«
»So wie bei mir in der letzten Nacht…?«
Zamorra nickte. »Diesmal hat es sich aber schneller verraten, und als ich das Amulett nach dem etwas warf, verschwand es. Der unmittelbare Kontakt gefiel ihm wohl überhaupt nicht, so wie deine Doppelgängerin und Merlins Stern sich auch in der letzten Nacht nicht so richtig miteinander vertragen wollten.«
»Aber es kann kein schwarzmagisches Wesen sein«, sagte Nicole. »Sag mal… wäre es nicht möglich, etwas aus Merlins Stern herauszubekommen? Das Amulett muß doch für diese Abneigung einen bestimmten Grund haben. Vielleicht sollten wir es mal befragen.«
»Bekanntlich verweigert es in den meisten Fällen die Auskunft und läßt sich nur zu Äußerungen herab, wenn es das selbst will.«
»Dann droht ihm doch an, daß du es einschmelzen läßt, wenn es sich weiterhin so eigensinnig verhält«, schlug Nicole vor.
»Diese künstliche Intelligenz ist schlau genug, das als leere Drohung zu durchschauen«, erwiderte der Parapsychologe. »Ich würde was drum geben, es als körperliches Wesen vor mir zu haben und ihm Daumenschrauben anzulegen. Ich glaube, in einem der verstaubten Kellerräume muß es noch einen Haufen verrosteter Folgegeräte aus Leonardo deMontagnes Zeiten geben - falls Raffael sie nicht zwischendurch mal ausgemistet und zum Sperrmüll gegeben hat.«
»Aber versuchen kannst du’s doch mal«, drängte Nicole.
Zamorra nahm die reichverzierte Silberscheibe wieder in die Hand und musterte sie nachdenklich. Er entsann sich, vor ein paar Monaten schon einmal ein solches Gefühl der Abneigung empfunden zu haben - das war, als er Merlins Stern zusammen mit dem 6. Amulett von Yves Cascal eingesetzt hatte. »Tu mir das nicht noch einmal an«, so etwa hatte sich Merlins Stern daraufhin in einer Gedankenbotschaft geradezu zornig gemeldet.
Aber Cascal hatte sein Amulett längst zurück; es befand sich in Baton Rouge, konnte hier also keine Rolle spielen. Etwas anderes steckte dahinter.
»Also schön, Freundchen«, brummte Zamorra und erhob sich, um in sein »Zauberzimmer« hinüberzuwechseln. »Dann wollen wir doch einmal sehen, ob wir nicht etwas aus dir herauskitzeln können.«
***
Julian Peters glitt in die Traumwelt hinüber, die auch Bestand hatte, wenn er sich nicht unmittelbar in ihr befand oder auch nur an sie dachte. Sie verlosch nur dann, wenn er sie bewußt auflöste - oder wenn er starb. So konnte er sogar mehrere dieser Welten zugleich nebeneinander existieren lassen, und nur so war es auch möglich, daß der Silbermond sich immer noch in seiner Traumsphäre befand und damit vom normalen Universum getrennt war. Den Silbermond-Traum permanent träumen zu müssen, um ihn stabil zu halten, wäre eine viel zu große geistige wie körperliche Anstrengung gewesen. Selbst für ein magisches Wesen wie Julian, in dem sich die Kräfte und Fähigkeiten seiner Vorfahren zu einem magischen Machtfaktor potenzierten, dessen wahres Ausmaß möglicherweise niemals völlig würde ausgelotet werden können.
Manchmal fürchtete Julian sich selbst vor dieser unermeßlichen Macht. Längst hatte er erkannt, daß er nicht reif genug war, sie in ihrer vollen Stärke anzuwenden. Vielleicht würde er diese Reife auch nie erwerben, denn ihm lag daran, sich für die Zukunft zu bewahren, was er erst jetzt zu genießen gelernt hatte, nachdem er während des einen Jahres seines körperlichen Heranwachsens fast nur Wissen in sich hineingeschlungen hatte: Fantasie und ein kindlicher Spieltrieb. Beides wollte er sich nicht durch erwachsenen Ernst verdrängen lassen.
Julian sah sich um. Die weite Ebene, die
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