0520 - Das blaue Einhorn
noch geschlossen« reagieren würde, wie es der seltsame Jüngling getan hatte, der nach der Berührung mit Zamorras Amulett einfach verschwunden war.
»Ist er schon wieder fort?« fragte die Frau mit tiefer, rauchiger Stimme.
»Wer, Madame?«
»Nun, wer wohl? Dieser junge Bursche, der vorhin bei Ihnen zu Gast war.«
Da witterte Mostache Unheil. Er musterte die Frau etwas eingehender. »Wieso starren Sie mich so an?« fragte sie prompt. »Wollen Sie mir nicht eine Frage beantworten?«
»Solche Fragen beantworte ich normalerweise nur der Polizei«, sagte Mostache. Die Frau hatte eine recht vertrackte Ähnlichkeit mit jener, die er in der vorletzten Nacht im Traum gesehen hatte. Jene gehörnte und geflügelte Teufelin, die das Einhorn gekillt hatte… Es konnte ein Zufall sein, aber was das anging, hatte Mostache es längst aufgegeben, an Zufälle zu glauben. Die gab es nicht, wenn es sich um Dinge drehte, bei denen der Professor die Hände im Spiel hatte.
»Ich glaube, das kann Ihnen am besten Professor Zamorra erklären«, sagte Mostache und fragte sich, ob Gebete ihn vor dem Zugriff der Teufelin retten würden, wenn sie sich mit seiner Auskunft nicht zufriedengab. »Sie finden ihn vermutlich wieder im Château Montagne. Kurz vorm nördlichen Ortsende zweigt eine schmale Privatstraße rechts ab und führt zum Château hinauf…«
»Danke, der Weg ist mir bekannt«, sagte die dunkelhaarige Fremde. »Der junge Mann ist also mit Zamorra dorthin unterwegs?«
Mostache zuckte mit den Schultern. »Jedenfalls haben sie beide mein Lokal verlassen.«
»Es trägt einen originellen Namen«, stellte die Frau fest. »Sie sollten ihn auf jeden Fall beibehalten.« Sie wandte sich ab und verließ den Schankraum wieder.
Mostache atmete tief durch. Er ließ mehr als eine halbe Minute verstreichen, bis er sich hinter seiner Theke hervorwagte. Dort, wo die Frau gestanden hatte, schien sich die Luft erwärmt zu haben. Mostache verspürte ein leichtes Unbehagen. Er erreichte die Tür und sah nach draußen.
Von der Dunkelhaarigen war nichts mehr zu sehen. Dabei konnte sie zu Fuß noch nicht außer Sichtweite geraten sein.
Mostache kehrte zurück und griff zum Telefon, um Zamorra von dem seltsamen Besuch zu unterrichten.
***
Ausgerechnet in unmittelbarer Nähe von Zamorras Festung hatte Stygia Julian Peters aufgespürt - und ihn gleich wieder verloren. Sie war zu spät gekommen, vielleicht nur um wenige Minuten. Wenn das Telepathenkind mit Zamorra gegangen war und sich jetzt im Château befand, war es bis auf weiteres für Stygia unerreichbar, unangreifbar.
Aber etwas stimmte nicht.
Abgesehen davon, daß der Wirt ihr etwas verschwiegen hatte, war Julians Aura nicht fühlbar. Stygia kannte sie nur zu gut. Sie hatte den Träumer im Spiegel des Vassago zwar hier, in diesem Lokal gesehen, aber sie konnte Julians vorübergehende Anwesenheit nicht fühlen. Es war, als habe sie nur ein Abbild von ihm gesehen, nicht aber ihn selbst. Und er hätte ein mentales Echo seiner Aura hinterlassen müssen. Das von Zamorra konnte sie schließlich immer noch spüren.
War es ein Trick, um sie in eine Falle zu locken? Die Fürstin der Finsternis mußte auf der Hut sein.
Vor allem das scheinbare Bündnis mit Zamorra gefiel ihr nicht. Gegen zwei Gegner dieses Kalibers zugleich anzutreten, war nicht der Fall. Sie kannte die Grenzen ihrer Kraft.
Aber sie wollte Julian Peters die Demütigungen von einst heimzahlen! Sie mußte es nur irgendwie schaffen, an ihn heranzukommen.
***
»Das Maß ist voll«, murmelte der Träumer. Die letzte Aktion der fremden Wesenheit konnte er sich nicht mehr bieten lassen. Jetzt mußte er Zurückschlagen, sonst verlor er die Kontrolle über sein Spiel endgültig. Es wurde ohnehin schon in Bahnen gezwungen, die er nicht geplant hatte.
Aber wenn das Fremde glaubte, er würde jetzt ausrasten und wutschäumend zum sofortigen Gegenangriff übergehen, irrte es sich. So verärgert er war, so ruhig blieb er auch. Die Zeit in der er Gast in einem tibetischen Kloster gewesen war, hatte ihm geholfen. Er hatte dort eine Menge gelernt.
Er mußte das Heft des Handelns wieder an sich reißen. Er mußte auf eigenem Territorium agieren. Und das war die Magie seiner Träume.
So weckte er die geträumte Welt wieder, die er eigentlich nur geschaffen hatte, um ein paar Leute zu neuen Aktivitäten anzustacheln. Er glitt in die Traumwelt hinein, und er spürte, daß er darin immer noch die absolute Kontrolle hatte. Jetzt mußte sein
Weitere Kostenlose Bücher