0523 - Tod dem Vampir!
keine Spuren hinterlassen haben.«
Gryf dachte an Zamorras Amulett. Damit ließ sich ein Blick in die Vergangenheit werfen und eine Zeitspur verfolgen. Das fragliche Geschehen durfte nur noch nicht allzulange zurückliegen, sonst war der Energieaufwand höher, als ein Mensch ertragen konnte. Aber der Überfall lag noch keine 24 Stunden zurück, das war noch im vertretbaren Rahmen.
Das war aber wohl auch schon die einzige Möglichkeit, die Spur aufzunehmen - es sei denn, der Vampir zeigte sich in den Nächten am Himmel, so daß ein lauernder Gryf ihn sehen und verfolgen konnte. Aber damit war kaum zu rechnen. Bei seiner bisherigen Verfolgung war der Druide meistens auf Zufälle angewiesen gewesen sowie auf akribische Ermittlungsarbeit, aber jedesmal, wenn er den Schlupfwinkel des Blutsaugers irgendwo aufgespürt hatte, merkte dieser das rechtzeitig und verschwand, um sich anderswo niederzulassen.
Deshalb mußte Gryf so viele Fakten wie möglich Zusammentragen.
»Wo kann ich denn Ihre Freundin finden?« fragte er daher.
»Tiffany? Ich kann ihnen die Adresse geben. Aber sie nimmt das Telefon nicht mehr ab, und sie macht auch die Tür nicht auf. Ich war am frühen Nachmittag bei ihr und habe Sturm geklingelt. Vergeblich. Ich weiß nicht, warum sie das tut. Ich habe ihr nichts getan. Ich könnte es noch verstehen, wenn sie sich weigern würde, noch einmal in dieses Haus zu kommen. Aber daß sie selbst nicht aufmacht…«
»Sind Sie sicher, daß sie überhaupt zu Hause war?«
»Sehr sicher. Wo sollte sie sonst sein? Sie hat keine anderen Verwandten, die sie zum Kaffeeklatsch aufsuchen könnte.«
»Und Freundinnen, Freunde?«
»Kaum. So gut wie gar nicht. Niemanden, den man am Sonntag besuchen würde.«
»Klingt ziemlich seltsam«, bemerkte der Druide. »Wie lange kennen Sie Ihre Freundin denn schon?«
»Vielleicht ein Vierteljahr«, sagte Lecoq. »Es hat sich alles sehr langsam entwickelt. Letzte Nacht endlich…« Er verstummte.
»Die Adresse«, bat Gryf.
Lecoq zuckte mit den Schultern. »Wenn sie mir nicht aufmacht, wird sie es bei Ihnen auch nicht tun«, erwiderte er. »Ich fahre Sie hin.«
Gryf wehrte ab. »Sie bleiben schön hier. Ich möchte die Mademoiselle allein befragen.«
»Das heißt, daß Sie mir nicht glauben und meine Geschichte von ihr bestätigt wissen möchten.«
Der Druide grinste. »In einem solchen Fall würde ich Sie erst recht bitten, mitzukommen, Sie aber dann auffordern, vor dem Haus im Auto zu warten«, sagte er. »Damit Sie zwischenzeitlich Ihre Freundin nicht telefonisch vorwarnen könnten. Nein, Monsieur. Ich glaube Ihnen. Aber ich muß das Geschehen auch aus einer anderen Perspektive hören, und zwar völlig neutral und von Ihrer Anwesenheit unbeeinflußt. Deshalb muß ich allein dorthin.«
»Wie ich schon sagte - sie wird nicht öffnen«, befürchtete Lecoq. »Na schön. Sie wohnt in Lancin.«
»Zeigen Sie mir das auf der Landkarte«, bat Gryf.
»Habe ich im Auto. Warten Sie…« Lecoq holte die Karte ins Haus, zeigte Gryf den Ort und schrieb ihm dann Name und Ardesse auf einen Zettel. Gryf bedankte sich und verschwand vor den Augen des verblüfften Lecoq per zeitlosem Sprung nach Lancin.
***
Tiffany Villiers malte Zeichen auf den schwarzen Samt und verband damit den Blutstropfen und die Kristallkugel. Leise Worte einer Sprache, die kein Mensch verstand, flössen über ihre Lippen. Im Innern der Kristallkugel begann sich, aus verwachsenem Nebel immer deutlicher werdend, ein Bild abzuzeichnen.
***
Auf die gleiche Weise wie bei Lecoq näherte sich Gryf jetzt der neuen Adresse. In diesem Fall wohnte die Zielperson nicht in einem kleinèn Hexenhäuschen, sondern in einer Mietwohnung mit Balkon in der oberen Etage eines zweigeschossigen Hauses. Gartenzwerge auf dem Rasen, in der offenen Garage ein Renault Nevada, der sicher dem Hauseigentümer gehörte, und vor dem Haus auf der Straße ein nagelneuer Renault Twingo, der Gryf aus seinen pfiffigen Kulleraugen-Scheinwerfer vergnügt anzublinzeln schien. Gryf tippte auf Tiffany Villiers’ Wagen. In diesen kleinen Dörfern ging fast nichts ohne PKW; öffentliche Verkehrsmittel waren rar und fuhren meist dann nicht, wenn sie am meisten benötigt wurden. Ein europaweit verbreiteter Mißstand, dessen Grundstein schon in den ersten Nachkriegsjahren durch zu wenig vorausblickende Politiker und Industrielle gelegt worden war und längst in einen Teufelskreis aus Abhängigkeiten geführt hatte, der sich höchstens noch durch einen
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