0523 - Tod dem Vampir!
Münzen, die lose in der Hosentasche steckten, aber keine Ausweise. Dafür ein kleiner Anhänger vor seiner Brust. Ein silberner Halbmond vor dunkler Fläche, in seiner Gestaltung dem Yin-Yang-Symbol ähnlich.
Das Silbermond-Symbol.
Tiffany runzelte die Stirn. Vorsichtig zog sie ein Augenlid des attraktiven Jünglings hoch.
Die Pupille war nicht ganz nach hinten gedreht. Der grüne Schimmer war zu erkennen.
Grüne Augen gibt es bei vielen Menschen. Aber keine schockgrünen Augen, deren Farbe förmlich zu leuchten scheint.
Der Eindringling war ein Druide vom Silbermond.
»Oh, verdammt«, murmelte Tiffany. »Das hat mir gerade noch gefehlt.«
***
Vorsichtig öffnete der Vampir die Haustür der Ruine, wartete mehrere Minuten lang und trat dann ins Freie. Das Licht schmerzte nur in seinen Augen, so wie vorhin, als er durch die Fensterritzen gespäht hatte. Aber es war erträglich. Der Himmel war verhangen; das Sonnenlicht drang nicht durch die Wolken und konnte dem Vampir somit auch nicht schaden. Aber er spürte sehr genau, wo am Himmel das tödliche Zentralgestirn stand, und errechnete aus dem Sonnenstand die ungefähre Uhrzeit.
Es war kurz vor Abend. Es würde bald dunkel werden, und es war nicht damit zu rechnen, daß die Wolken sich vorher wieder auflösten. Und selbst wenn, bestand für den Vampir die Möglichkeit, sich in die Deckung eines Hauses, einer Hütte oder notfalls eines Baumes zu begeben oder sich in einen Straßengraben zu werfen.
Aber je später es wurde, desto dunkler wurde es, und das Sonnenlichtrisiko verminderte sich dadurch von Minute zu Minute. Es konnte nicht schaden, so früh wie möglich bei seinen gestrigen Opfern aufzutauchen. Also leitete er seine Verwandlung ein.
Überrascht stellte er fest, daß er es erst im zweiten Anlauf schaffte, seine Fluggestalt anzunehmen. Das Kranke in ihm erwies sich auch hier als Handicap.
Aber immerhin - er schaffte es und konnte sich in die Luft schwingen. Eine riesige Fledermaus segelte durch den hereinbrechenden Abend ihrem Ziel entgegen.
***
Tiffany Villiers ging zurück ins kleine Zimmer, in dem noch immer die Kristallkugel neben dem Blutstropfen auf dem schwarzen Samt lag. Natürlich war die eben hergestellte Verbindung unterbrochen worden, als Tiffany sich um den Eindringling kümmern mußte, der jetzt vor der Zimmertür auf dem Flurteppich lag.
»Ausgerechnet ein Silbermond-Druide!« murmelte sie und ballte die Fäuste. »Wie zum Teufel hat er mich gefunden? Ich werde ihn wohl töten müssen.«
Es widerstrebte ihr, das selbst zu tun. Solche Dinge überließ sie für gewöhnlich ihren Sklaven. Wenn der Mord entdeckt und der Täter gefunden wurde, sagte natürlich später keiner von ihnen vor Gericht aus, daß er nur im Auftrag gehandelt hatte. Dafür sorgte Villiers schon. Sie pflanzte ihren Sklaven posthypnotische Sperren ein, die sie am Reden hinderten und nur von Tiffany selbst wieder gelöst werden konnten. Dreimal war jemand auf die Idee gekommen, daß Hypnose mit im Spiel sein könnte, aber in allen drei Fällen haben die Psycho-Experten sich an der Sperre die Zähne ausgebissen. Deshalb machte es nicht einmal etwas, wenn jemand darauf kam, daß die Täter alle Tiffany Villiers kannten. Sie leugneten einfach standhaft eine Auftragserteilung. Und, falls es wirklich einmal zu einem Verdacht und einer Vernehmung kommen sollte, was konnte Tiffany dafür, wenn sie hin und wieder an Kriminelle geriet? Schließlich kannte sie Dutzende von Männern, zwischen denen es andererseits auch keine Querverbindungen gab. Es war nicht so, wie Madame Picard übertreibend behauptet hatte, daß Tiffanys Liebhaber sich die Türklinke in die Hand gäben - sie kannten einander nicht. Zumindest nicht jene, in denen Tiffany das Potential erkannte, illegale Aufträge für sie auszuführen. Alle anderen dienten nur der Tarnung.
Diesmal aber hatte sie ein Problem. Das zu beseitigende Opfer befand sich in ihrer Wohnung. Das war zu auffällig. Hätte es sich um einen normalen Menschen gehandelt, der sich gewaltsam oder mittels des picard’schen Zweitschlüssels Zugang zur Wohnung verschaffte, wäre es kein Problem gewesen, ihn nach seinem Aufwachen wieder loszuwerden. Aber in diesem Fall handelte es sich um einen Druiden vom Silbermond. Der würde Tiffany schnell durchschauen - wenn er es nicht sogar schon getan hatte, denn es konnte kein Zufall sein, daß er hier auftauchte und so forsch vordrang.
Also mußte er sterben.
Aber zwecks Tarnung mußte Madame
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