0524 - Er raubte die mordende Göttin
seinen Wagen. Innerlich schalt er sich einen Narren, er hatte schließlich andere Aufgaben zu erledigen, aber diese Person übte einen Druck und einen Zwang auf ihn aus, der ihm schon unheimlich war.
Er schloß die Tür. Das Geräusch kam ihm so endgültig vor. Wie das Zuklappen eines Sargdeckels.
Seltsam, welche Gedanken man haben kann, dachte er.
»Wohin soll ich fahren?«
»Bis auf den nächsten Parkplatz.«
»Und dann?«
»Nichts dann. Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten.«
Er startete und schüttelte gleichzeitig den Kopf. »Wir kennen uns nicht, Madam. Ich weiß nicht, aus welch einem Grund ich mich mit Ihnen unterhalten sollte?«
»Sie sind Cliff Morris, ein Polizist?«
»Ja.«
»Und ich heiße Phädra.«
Morris reihte sich in den Verkehrsfluß ein. »Wirklich, das ist ein außergewöhnlicher Name, den ich bisher noch nicht gehört habe. Was kann ich also für Sie tun, Phädra?«
»Fahren Sie weiter.«
»Daß ich noch etwas anderes zu tun haben könnte, darauf wären Sie wohl nicht gekommen – oder?«
»Doch, ich weiß. Sie müssen einen Mord aufklären.«
»Sehr richtig, an einer Kollegin.« Morris mußte vor einer Ampel stoppen.
»Es ist schade um sie.«
»Wieso? Kannten Sie Helen?«
»Sehr gut sogar.«
»Ach nein.« Morris spürte, wie der Bann dieser Frau allmählich brach. Er verwünschte gleichzeitig die Ampel, die umgesprungen war. Jetzt hätte er gern länger im Wagen gesessen und sich mit der ungewöhnlichen Person unterhalten.
»Doch, ich kannte sie.« Phädra lehnte sich zurück. »Ich kenne all Ihre Kollegen, die gesamte Mannschaft, so sagt man doch.«
»Das stimmt.«
»Und man hat Ihre Kollegin getötet. Ist das auch richtig?«
Cliff Morris zuckte zusammen, als hätte er einen Peitschenschlag bekommen. Ihm wurde gesagt, daß er weiterfahren sollte, was er auch tat. Sie waren in die Victoria Street eingebogen und fuhren in Richtung Westen, also weg von der Themse.
Die Straße war ziemlich breit, mußte jedoch auch eine Menge Verkehr aufnehmen.
»Woher wissen Sie das alles?« erkundigte er sich.
»Das sage ich Ihnen später.«
»Helen Blyth wurde ermordet«, murmelte der Polizist. »Jemand hat sie mit einem Dolch oder einem Messer getötet…«
»Vielleicht mit dem hier?« Unbeobachtet war es Phädra gelungen, ihren Obsidiandolch zu ziehen. Sie hielt ihn an der Hand, und Morris schaute nach links.
Das Blut wischte aus seinem Gesicht. Er schaute hoch und sah wieder in die Augen der Frau.
Auf der Stelle erlosch sein eigener Wille. Jetzt befand er sich wieder voll und ganz unter ihrem Bann.
»Weiterfahren und aufpassen, Polizist!«
»Ja, natürlich!«
Sie würden bald den großen Kreisel am Victoria Square erreichen, in dessen Nähe sich auch Londons größter Bahnhof, die Victoria-Station, befand. Nördlich davon lag, umschlossen von einem Park, Buckingham Palace.
Etwas jedoch war anders bei ihm geworden. Die Nachricht vom Tode seiner Kollegin hatte ihm einen tiefen Schock versetzt. Gedanklich hatte er sich in den letzten Stunden nur mit diesem Fall beschäftigt. Und plötzlich wurde er mit einer Person konfrontiert, die dank ihrer geistigen Kräfte Macht über andere Menschen besitzen konnte. Sie mußte eigentlich mit jedem ein leichtes Spiel haben.
Bei Morris war es etwas anders. Er war innerlich zu aufgewühlt.
Die Kraft ihres Blickes traf ihn nicht so stark. In seiner Brust kämpfen zwei Seelen, was sich auch äußerlich bemerkbar machte, denn er fing an zu schwitzen..
Phädra spürte es. Sie merkte genau, wie ihm diese Person zu entgleiten drohte.
Deshalb mußte sie etwas tun.
Zunächst sprach Morris. »Sie also«, sagte er. »Sie wissen über den Mord Bescheid. Sie besitzen vielleicht sogar das verdammte Killermesser oder sind selbst…«
»Ich war es. Ja, ja, ja…«
Dann tat sie es wieder. Cliff Morris sah die Klinge noch vor seinem Gesicht tanzen und bekam auch mit, wie sie nach unten gezogen wurde. Er hatte keine Chance.
Blutüberströmt sank er zusammen. Sein Fuß rutschte von den Pedalen, der Wagen machte sich selbständig, und Phädra ahnte, daß sie einen Fehler gemacht hatte.
Das Fahrzeug bekam einen Drall nach rechts. Er fuhr quer über die Straße, hinein in den Gegenverkehr. Da nutzte kein Hupen, auch kein Bremsen, und der hohe Bus konnte überhaupt nicht mehr ausweichen.
Der Wagen des Toten rollte gegen die linke Flanke des roten Busses. Das dumpfe Krachen, das Reißen des Blechs, das Splittern des Glases, all dies vermischte sich mit
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