0524 - Er raubte die mordende Göttin
erinnerte.
Sie trug auch noch anderen Schmuck: Ringe und Reifen an Händen und Armen. Das alles interessierte Helen nur am Rande. Ihr Blick galt einzig und allein dem Gesicht und auch dem gefährlich aussehenden Messer.
»Ich habe dir doch versprochen, daß du noch in dieser Nacht sterben wirst, Helen!«
Sie sprach in einem Singsang. Das Englisch war schlecht zu verstehen, Helen mußte schon sehr genau hinhören.
»Wer bist du?« fragte sie.
»Phädra…«
»Ich kenne dich nicht.«
»Das weiß ich, dennoch habe ich einen Grund, dich zu töten. Komm her, tritt näher.«
Natürlich wollte Helen nicht. Es wäre ja Wahnsinn gewesen, aber da war dieser zwingende Blick, der sogar in ihre Seele zu dringen schien und ihren eigenen Willen außer Kraft setzte.
Gegen ihn konnte sie sich nicht wehren, auch wenn sie es versuchte und den Kopf zur Seite drehen wollte.
Phädra saß auf der Mitte des Doppelbetts im Schneidersitz. Bewegungslos wie eine Statue, ihre Lippen zu einem Lächeln verzogen, die Augen dabei starr und an dunkle Perlen erinnernd.
Den Dolch hielt sie so, daß die Klinge nach oben zeigte und sie an ihr vorbeischauen konnte. Knallhart fixierte sie die junge Frau und flüsterte: »Komm her zu mir!«
Helen wollte nicht, sie ging trotzdem. Bei jedem Schritt wallte ihr langes Nachthemd. Sie kam sich vor wie ein Gespenst. Die Bettdecke zeigte einen gemusterten Bezug. In Grauen und hellen Streifen, sehr modern, sie hatte es als Geschenk zur Hochzeit bekommen.
»Leg dich nieder!«
Helen nickte nur. Die Augen der anderen waren auf einmal übergroß geworden. Sie konnte nicht ermessen, was alles in diesem Blick lag, aber sie ahnte, daß es ungeheuer sein mußte. Ein gewaltiges Wissen der langen Zeit. Da hatte sich ungemein viel angesammelt.
Hart wie ein Brett kam ihr die Matratze vor, als sie sich darauf niederließ.
Phädra aber war zufrieden. Helen saß so, daß sie angeschaut werden konnte. Sie nahm auch das wissende Lächeln wahr, das auf den Lippen der Orientalin lag.
»Was habe ich dir getan?« hauchte Helen.
»Mir nichts.«
»Was willst du dann von mir?«
»Du hast meinem Geliebten etwas angetan. Du gehörst zu denen, die ihn vertrieben haben aus dieser Stadt. Er mußte fliehen, und so etwas haßt er. Deshalb will er sich rächen. Er kam zu mir, bat mich, an seiner Seite zu bleiben, was ich gern tat, und ihm die Arbeit abzunehmen.«
»Das Töten?«
»Ja, meine Liebe, das Töten. Ich kenne mich aus. Damals, als ich den Trank noch nicht zu mir nahm und mich lebendig begraben ließ, da war ich schon als Mörderin bekannt. Neun Männer brachte ich um. Sie waren mir allesamt verfallen, wurden zu meinen Geliebten, und ich werde diese Serie weiter fortsetzen. Zum erstenmal eine Frau, nämlich dich. Und jetzt leg dich hin, Helen!«
Sie wollte nicht. Wehren, nicht aufgeben, angreifen. Sie kannte Tricks. Man hatte sie einiges auf der Polizeischule gelehrt, doch die alte Macht war stärker.
Helen legte sich nach hinten. Sie hielt die Augen offen und starrte gegen die Decke.
Dann lag ihr Hinterkopf auf dem Kissen, drückte es leicht ein, und genau in diesem Moment erlosch der Blickkontakt zwischen ihr und der Mörderin. Helen sah wieder klar.
Schlagartig kam ihr zu Bewußtsein, in welch einer Gefahr sie schwebte. Sie rollte sich schwungvoll nach rechts, wollte aus dem Bett, doch Phädra war schneller.
Nicht nur der Dolch, auch ihre freie Hand, deren Finger sich in Höhe der Hüfte und im Stoff des Nachthemds verkrallten.
Keuchen, Schreien, das harte Strampeln mit den Beinen. Es nutzte Helen nichts mehr. Phädra war zu stark und schleuderte sie wieder in die alte Stellung zurück.
Für einen winzigen Moment lag Helen auf dem Rücken. Eine nur kurze Zeitspanne, die Phädra ausreichte.
Helen sah plötzlich den hellen Gegenstand vor ihrem Gesicht und spürte ihn dann an ihrer Kehle.
Im nächsten Augenblick war der heiße Schmerz da, dann versank das Zimmer in den Schatten des Todes.
Phädra hatte ihren ersten Auftrag erfüllt!
***
»Ich bin wieder da!«
»Das sehe ich.«
»Ist kein Witz, Suko. Mehr hat der Anrufer nicht zu mir gesagt.«
Mein Freund schob die Akten beiseite. »Und?« fragte er leise.
»Was soll das?«
»Weiß ich auch nicht.«
»Konntest du nachfragen?«
Ich schob mich mitsamt Stuhl zurück. »Nein, er hat sofort aufgelegt.«
»Die Stimme hast du auch nicht erkannt?«
»So ist es.«
»Ham.« Suko holte tief Luft und schüttelte den Kopf. »Da kann ich dir auch nicht
Weitere Kostenlose Bücher