0528 - Auftritt eines Toten
gehorchen. Ich grübelte darüber nach, wo ich die Stimme schon einmal gehört hatte. So gänzlich fremd war sie mir nämlich nicht vorgekommen.
Es hatte keinen Sinn, sich den Kopf zu zerbrechen, mir fiel nichts ein, außerdem tat sich etwas in der blauschwarzen Dunkelheit vor mir. Sie wurde erhellt und trotzdem irgendwie nicht heller. Ich konnte aber etwas erkennen.
Da zeichneten sich plötzlich Umrisse ab, als hätte sie ein Maler hineingepinselt. Die Umrisse waren noch zu undeutlich, um sie genau zu erkennen, aber sie nahmen an Intensität zu.
Ich sah.
Vor mir hockte er im Schneidersitz auf dem Boden: Ariol Le Duc, der Mann mit dem scharf geschnittenen Gesicht eines Raubvogels und den beiden Hörnern, die oberhalb seines Schwerts aus der Haube wuchsen. Das bleiche Haar umrahmte den dreieckig angelegten Kopf wie Wattefäden. Das Bild von einem alten Geier fiel mir ein, als ich ihn so sah.
Das war nicht alles. Über seinem Schädel malte sich eine Figur ab.
Karfunkelsteine leuchteten in einem ziegenbärtigen Gesicht.
So konnte nur einer aussehen: Baphometh!
***
Das also war das Refugium!
Ein Gebiet, in dem derjenige herrschte, der von den Templern angebetet wurde: Baphometh!
Er war ein Teil der Hölle, ein Part des absolut Bösen, das sich drittelte.
Einmal in Asmodis, dann in Beelzebub und auch in Baphometh.
Diese drei Personen zusammen aber ergaben das absolut Böse, das Grauen schlechthin, das ebenfalls einen Namen besaß: Luzifer!
Nur blieb das Böse nicht immer zusammen. Jeder Teil davon wollte so viele Diener auf seiner Seite stehen haben wie möglich.
Und als Diener, da waren sich alle gleich, sah man die normalen Menschen an und vor allen Dingen deren Seelen.
Ariol Le Duc, der Mensch, hatte seine Seele längst an Baphometh verkauft. Davon mußte ich einfach ausgehen. Er hatte sie ihm gegeben, um seinen Lohn zu empfangen.
Sie alle, die sie der Hölle dienten, hofften auf Macht, Reichtum und ewiges Dasein.
Ich spürte den Ansturm an Schwarzer Magie wie einen gewaltigen Druck, der mir einen Teil meines Atems raubte. Es war einfach furchtbar. Hier würde sich kein Mensch frei entfalten können, die Kräfte der anderen Seite hielten ihn fest.
Auch ich wunderte mich, wie schwach ich war. Als wäre dieser böse Fluch, wie er auch genannt wurde, dabei, mir die Kräfte aus dem Körper zu saugen.
Ich war stehengeblieben und spürte auch nicht mehr das Bedürfnis, weiterzulaufen. Mir kam es vor, als wäre da eine Hand, die mich zurückdrückte und in eine hinter mir lauernde hineinschob, die mich wieder nach vorn stieß.
Man hatte vom bösen Fluch gesprochen. Ich hätte nur nie gedacht, daß er mir derart an die Substanz gehen würde. Mein Hirn wurde zwar nicht leergesaugt, aber etwas tat sich hinter der Stirn.
Da war plötzlich ein großer Druck vorhanden.
Ich war in eine Mühle geraten, genauer: zwischen die Steine einer unsichtbaren Mühle.
Davor hockte Ariol Le Duc!
Ein Widerling mit seinem dreieckigen Gesicht und den blaugrauen, langen Haaren, dem verkniffenen Mund, der zu einem breiten Grinsen verzogen war, das Triumph zeigte.
Er hatte gewonnen.
»Ich wußte, daß du kommst. Du willst mich in deiner Zeit töten, das kann dir nicht gelingen. Ich habe dich nicht ohne Grund in die Vergangenheit geholt, denn hier werde ich dich wehrlos machen, mein Freund. Ja, du wirst wehrlos sein.«
»Das wünschst du dir, Le Duc…« Ich wunderte mich über meine eigene Sprechweise. Normalerweise flossen mir die Worte glatt über die Lippen, hier schaffte ich es nicht und hatte große Mühe, überhaupt die einzelnen Buchstaben zu formulieren.
»Meine Wünsche«, erklärte er und breitete dabei die Arme aus, »gehen stets in Erfüllung. Ich bin hier der Meister, ich habe dich geholt, ich schloß in deiner Zeit einen Pakt mit van Akkeren, um dich in der Vergangenheit zu vernichten. Es war eine Falle für dich. Wir haben dich geholt, die Rache ist unser, denn wir haben auch nicht vergessen, daß du es gewesen bist, der uns den Dunklen Gral genommen hat. Wir wollten ihn besitzen, aber du hast ihn genommen, dafür wirst du büßen, Sinclair!«
Oft genug schon hatte ich in ziemlich prekären Situationen gesteckt. Es war mir stets gelungen, mich zu befreien, auch wenn meine Gegner zuvor mein Ende mit großen Worten angekündigt hatten.
Hier empfand ich anders. Ich glaubte Le Duc. Er und van Akkeren hatten mir eine raffinierte Falle gestellt, in dem sie die Gegenwart und die Vergangenheit kraft ihrer Magie
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