0529 - Der Würgeadler
eine Tür verschwand er. Die Kleidung hing im Flur, wo eine Treppe aus Holz in die erste Etage führte. Jede Nische war in diesem Haus ausgenutzt.
Damit Licht in das schmale Treppenhaus fallen konnte, waren die Hauswände an bestimmten Stellen durch kleine Fenster unterbrochen. Normalerweise hingen vor den Scheiben bunte Gardinen. An diesem Tag waren sie leer. Eliette Grenier hatte sie abgenommen, weil sie die Gardinen waschen wollte.
Pierre konnte aus dem Fenster schauen. Da diese Seite des Hauses an den Hang gebaut war, flog sein Blick auch über die weiße Fläche hinweg. Der Schnee reichte in der Höhe bis dicht unter die Fensterbank. Das leichte Rieseln hatte aufgehört, die Luft war relativ klar, und Pierre wollte schon wieder gehen, als er starr stehenblieb.
Über den Hang flog ein dunkler Vogel. Er schien sich von den Aufwinden tragen zu lassen, denn er bewegte bei seinem Flug nicht einmal die Flügel.
Pierre hätte diesem Vorgang keinerlei Bedeutung beigemessen, hätte der Vogel nicht einen Kurs eingeschlagen, der ihn persönlich irritierte, denn er bewegte sich nicht nur direkt auf das Haus zu, sondern visierte auch das kleine Fenster an, hinter dem der Junge stand.
Er flog sehr schnell, und Pierre erschrak. Er ging sogar einen kleinen Schritt zurück, bis zum Rand der Treppe, wo er stehenblieb und zusah, wie der schwarze Vogel genau in dem Augenblick zur Landung ansetzte. Er streckte die Füße aus und blieb außen auf der Fensterbank hocken, den Kopf so weit vorgestreckt, daß er mit der Schnabelspitze die Scheibe berührte.
Er starrte ins Haus.
Pierre wurde heiß und kalt zugleich, als er die Augen des Tieres sah. Waren das noch normale Vogelaugen? Sie leuchteten zwar nicht rot, aber schwarz, doch ihr Blick war so stechend und gleichzeitig grausam, daß Pierre Furcht bekam.
Da stimmte etwas nicht…
Der Junge schluckte. Er wagte nicht, sich zu bewegen und hörte dann das leise Tacken, als der Vogel den Kopf bewegte und rhythmisch gegen die Scheibe hackte.
Das klang wie ein Signal. Pierre sträubten sich die Haare. Er wußte nicht einmal, ob er eine Krähe oder einen Raben vor sich hatte, jedenfalls war das Gefieder schwarz.
Und das Tier hackte weiterhin mit dem Schnabel gegen die Scheibe, als wollte es um Einlaß bitten.
Pierre rang nach Worten. Schließlich sagte er: »Geh weg! Los, verschwinde…« Er bewegte dabei die Arme, aber der Vogel dachte nicht daran, fortzufliegen. Er blieb sitzen, plusterte sich auf und drehte seinen Kopf.
Ohne Grund hatte er das nicht getan. Pierre schaute an ihm vorbei und sah zwei weitere schwarze Vögel heranfliegen und Kurs auf das Haus nehmen.
Jetzt bekam er es mit der Angst zu tun. Ohne seine dicke Jacke übergestreift zu haben, lief er zurück in die Wohnküche, wo der Rest der Familie noch am Mittagstisch beisammensaß.
Sie starrten den Jungen an, der stehengeblieben war und nach Luft rang. »Am… am Fenster … da sind Vögel. Die schwarzen, die schwarzen …!« keuchte er …
***
»Wo?« Paul Grenier hatte die Frage gestellt und sprang hoch.
»Im Flur.«
Grenier hielt nichts mehr. Er kümmerte sich nicht um seine Frau und auch nicht um Jacques. Pierre mußte sich sputen, um seinem Vater den Weg freizumachen.
Paul sprintete die wenigen Stufen hoch und blieb vor dem Fenster stehen. Auch er erschrak, als er die drei Vögel sah, die wie festgeleimt auf der Außenbank hockten.
Tief atmete er durch. »Das… das kann doch nicht wahr sein«, flüsterte er. »Was ist das?« Er hatte den Kopf gedreht, weil ihm die schweren Schritte seines. Vaters aufgefallen waren.
Neben Paul Grenier blieb Jacques stehen und nickte. »Ja«, sagte er, »so ist das. Es sind die gleichen Tiere, die ich gesehen und die mich auch überfallen haben.«
»Du bist dir sicher?«
»Nun ja, ich nehme es stark an.«
Paul faßte nach dem Fenstergriff, doch sein Vater legte Widerspruch ein. »Was hast du vor?«
»Ich werde die kleinen Bestien verscheuchen!«
»Gib nur acht«, warnte der Ältere, »die beißen sofort zu. Sobald sie etwas…«
»Ja, ja, schon gut.« Paul drehte den Griff, um das kleine Fenster zu öffnen.
Eliette war auf der Treppe erschienen, sah das abwehrende Winken ihres Schwiegervaters und blieb zurück. Pierre stand ebenfalls neben seiner Mutter. Er war etwas blaß geworden.
Sein Vater öffnete das Fenster. Durch die Kälte hatte sich das Rahmenholz verzogen, deshalb klemmte es etwas. Er mußte zweimal rucken, dann hatte er es offen.
Die kalte Luft
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