0529 - Der Würgeadler
zusammen wie Papier. Das Knirschen hörten wir nicht. Van Akkeren hatte sich zurückgezogen, er mußte Höllenängste durchstehen und sah zu, wie der Renault in seiner vorderen Hälfte durch den Schnabel zusammengedrückt wurde wie eine Ziehharmonika.
Würde van Akkeren das überleben?
Ja, denn der Adler tat ihm nichts. Er behielt die Schnabelstellung bei, so daß der Wagen nur an seiner Vorderseite zerquetscht wurde und nicht dort, wo van Akkeren saß.
Noch stand er auf seinen vier Rädern, umgeben von einer weißen Schneefläche.
Mein Blick schweifte über das Dorf. Es waren nur wenige Menschen, die sich auf die Straße getraut hatten um den gewaltigen Adler zu beobachten. Die meisten blieben in ihren Häusern und Wohnungen, obwohl sie wissen mußten, daß dies auch keine Sicherheit bot, denn der Riesenvogel schleppte auch Häuser ab.
Jetzt aber kümmerte er sich um den Wagen. Er beließ es nicht dabei, ihn zu zerstören, sondern hob ihn ebenso an wie unser Haus.
Wir konnten noch relativ zufrieden sein, zwischen seinem Schnabel wollte ich nicht stecken.
Der Wagen hatte längst den Kontakt mit der Oberfläche verloren.
Er stieg auf, eingeklemmt zwischen den beiden Schnabelhälften.
Durch den Druck hatte sich die Fahrertür geöffnet. Sie hing nach außen wie ein Stück, das gar nicht dazugehörte, und es sah so aus, als würde sie jeden Augenblick abfallen.
Es dauerte nicht lange, da befand sich der Wagen mit uns auf gleicher Höhe, doch der Adler schraubte seinen Kopf noch höher und ließ den Wagen nicht aus dem Schnabel. Um ihn jetzt sehen zu können, mußten wir die Köpfe verdrehen.
»Das ist doch nicht wahr!« hauchte Jacques, als der Wagen nicht mehr sichtbar war. »Habe ich das alles geträumt?«
»Von wegen!«
»Aber Paul, ich…«
»Sei ruhig, Vater, sei ruhig! Sonst drehe ich hier noch durch!« Er blickte uns auffordernd an. »Und Sie? Was ist mit Ihnen? Haben Sie keinen Lösungsvorschlag, wie wir aus dieser hundsgemeinen Lage wieder herauskommen?«
Ich hob die Schultern, wandte mich ab und ging wieder auf den großen Küchentisch zu, an den ich mich setzte. Da die Tür offenstand und das Dach ein großes Loch aufwies, pfiff auch der kalte Winterwind in den Bau und bewegte die Flammen des Kaminfeuers.
»Stellen Sie sich mal vor, uns gelingt es tatsächlich, den Adler so zu überzeugen, daß er das Haus losläßt. Möchten Sie aus dieser Höhe abstürzen?«
»Nein!«
»Ich auch nicht.«
Paul Grenier ballte die Hände. »Aber irgendwie müssen wir doch wieder aus dieser verfluchten Lage herauskommen! Wir können doch nicht für alle Ewigkeiten in den Klauen des Würgeadlers hängenbleiben, verdammt!«
»Er wird sich schon was einfallen lassen.«
»Uns fressen, wie?«
Ich gab keine Antwort. Es gibt Situationen, da ist man sauer, kaputt, deprimiert. In eine solche Lage war ich hineingeraten.
Vielleicht hatte ich mir in den letzten Tagen zuviel zugemutet, mein Gehirn war leer. Ich fühlte mich als Körper ohne Seele. Ausgepumpt. Suko kam zu mir. Die Greniers merkten, daß wir unter uns bleiben wollten und hielten sich zurück.
»Du weißt, daß es so nicht weitergeht, John?«
»Natürlich.«
»Was ist mit dir?«
»Frag du nicht auch noch. Ich habe ein Tief, null Bock, was weiß ich? Es ist zum Verzweifeln. Da haben wir diesen van Akkeren gehabt und jetzt passiert dies.«
Er faßte mich an. »Reiß dich doch zusammen, Junge. Wir müssen hier wieder herauskommen.«
»Weiß ich selbst. Und wie?«
»Indem wir den Adler zerstören.«
»Und selbst dabei draufgehen. Der läßt uns fallen wie die berühmte heiße Kartoffel. Suko, deine Vorschläge waren auch schon mal besser.«
»Dann bist du an der Reihe!«
»Soll ich hingehen und ihn abschießen, das Vögelchen? Soll ich ihm vielleicht auf den Rücken klettern und mit ihm losfliegen?«
»Wäre ja nicht das erstemal gewesen.«
»Denkst du an Garuda?«
»An wen sonst?«
Garuda war ein Adler, der aus der indischen Mythologie stammte. Er hatte mir einige Male geholfen. Der Überlieferung nach hatte er dem Gott Wischnu als Reittier gedient.
»War das dein Ernst, Suko?«
»Mir ist im Moment nichts anderes eingefallen. Die Not macht eben erfinderisch.«
»Glaubst du, Beretta und Kreuz würden reichen?«
»Zusammen mit dem Dunklen Gral.«
»Voller Einsatz also?«
»Ja.«
Ich dachte nach. Es war nicht nur voller Einsatz, auch das höchste Risiko. Nicht nur für uns, auch für die Familie, der das Haus gehörte. »Das müßten wir
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