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053 - Der Brigant

053 - Der Brigant

Titel: 053 - Der Brigant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wallace
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merkwürdig und seltsam gestaltet das Schicksal das Leben der Menschen, daß keine unfreundliche Bemerkung über Josias Longwirt Esq. in den Spalten der Zeitung von Bursted erschien. Und das hatte auch seinen Grund.
    Anthony Newton hatte sein Scheckbuch eingesteckt, einen Zeitungsausschnitt der ›Stationer's Gazette‹ in sein Zigarettenetui gelegt und ging nun mit großen Schritten auf dem vierter. Bahnsteig der Station Waterloo auf und ab, um sich ein Abteil erster Klasse auszusuchen. Plötzlich entdeckte er an dem Fenster eines Wagens ein bekanntes Gesicht. Der andere hob zwar sofort seine Zeitung hoch, um nicht gesehen zu werden, aber Anthony stieg in das Abteil ein und setzte sich ihm gerade gegenüber.
    »Mr. Longwirt!« sagte Anthony ruhig.
    Der junge Mann ließ seine Zeitung sinken.
    »Ach, das sind Sie ja, Newton«, sagte er mit schlechtgespieltem Erstaunen und reichte ihm nachlässig die Hand.
    »Was haben Sie denn eigentlich während des Krieges gemacht?« fragte Anthony anklagend.
    »Oh, ich war beim Militär und habe mitgekämpft«, erwiderte Josias triumphierend.
    »Ja, ich habe auch davon gehört. Sie waren bei einer Abwehrbatterie in Bristol, wo die Flugzeuge ja nie hingekommen sind. Nun, wie geht es Ihnen denn, und was macht das Geschäft mir den Lumpen und Knochen?«
    »Oh, ich bin zufrieden«, entgegnete Josias nicht gerade sehr begeistert.
    Er sah blaß und schmal aus und hatte keinen klaren, offenen Blick. Sein Vater hatte ein Millionenvermögen durch An- und Verkauf von Knochen, Lumpen und anderen Abfällen zusammengescharrt. Außer Anthony Newton erwähnte niemand diese Tatsache in seiner Gegenwart, und deshalb konnte er auch Anthony durchaus nicht leiden.
    »Ich hörte, daß es Ihnen gutgeht.« Mr. Longwirt hoffte, daß die unangenehme Vergangenheit nicht mehr erwähnt werden würde. »Ich freue mich, wenn es meinen früheren Kameraden gutgeht. Ich werde jetzt ins Parlament gehen. Und ich würde nach allem, was ich erfahren habe, nicht erstaunt sein, wenn man mir eine gute Stellung in der Regierung anböte.«
    »Sie meinen wohl für Bursted«, sagte Anthony mit einer merkwürdigen Betonung. »Ich sah die Mitteilung in der Zeitung. Da werden Sie wohl einen leichten Sieg davontragen.«
    Mr. Longwirt zögerte.
    »Es ist noch ein unabhängiger Kandidat aufgestellt worden, der aber eigentlich nicht die mindeste Aussicht hat. Nebenbei bemerkt, ist es möglich, daß er zurücktritt.« Er lächelte verschmitzt, Anthony blinzelte, und Mr. Longwirt blinzelte auch.
    »Wollen Sie ihm eine Abstandssumme zahlen, daß er zurücktritt?«
    »So verrückt werde ich nicht sein, mich derartig zu kompromittieren.« Und dann zwinkerte Josias wieder mit den Augen.
    »Aha, daher der Ausdruck ›ehrenhafte Politiker‹. Haben Sie nicht auch schon gehört, daß die Bursteder Zeitung ›Rakete‹ zu verkaufen ist?«
    »Ja. Sie gehört dem alten Murkle, einem verdrehten Kerl - ich werde wahrscheinlich das jüngste Mitglied im Parlament sein, Newton.«
    »So?! Sehen Sie einmal an! Können Sie sich eigentlich darauf besinnen, daß Sie mich vor ungefähr zehn Monaten auf dem Strand getroffen haben?«
    Josias runzelte die Stirn.
    »Ich erinnere mich dunkel daran, aber ich habe so ein schlechtes Gedächtnis für Personen ...«
    »Sie haben mich aber nicht nur gesehen, Sie haben sogar mit mir gesprochen und dabei das Armenhaus erwähnt. Ich sah damals etwas heruntergekommen aus, und es ging mir nicht sehr gut. Seit der Zeit bin ich mit Ihnen fertig!«
    Mr. Longwirt krümmte und wand sich, aber dann bekannte er doch offen Farbe.
    »Wenn Sie sich beleidigt fühlen, kann ich Ihnen nicht helfen. Ich kann nicht allen Leuten Geld geben.«
    »Sie werden noch allerhand zu tun haben, um sich selbst zu helfen«, meinte Anthony mit einer düsteren Andeutung.
    In diesem Augenblick setzte sich der Zug langsam in Bewegung. Als er schon schneller fuhr, sprang plötzlich noch ein Mann auf das Trittbrett, riß die Tür auf und stürzte fluchend hinein.
    Es war ein kahlköpfiger Mann von etwa sechzig Jahren, kurz und gedrungen gebaut. Er hatte ein großes, kräftiges, breites Kinn und scharfblickende Augen.
    ». all diese verrückten Stationsmeister, Billettkontrolleure und Eisenbahnportiers«, schimpfte er laut.
    »Haben Sie sich verletzt?« fragte Anthony höflich.
    »Nein, durchaus nicht.« Auf einmal sah er Anthony scharf an. »Zuerst glaubte ich, daß Ihr Gesicht unsymmetrisch sei, aber jetzt sehe ich, daß es nur ein Schatten war.

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