053 - Der Gast aus dem Totenreich
letzten Reihe ein. Sie waren der Verbindungstür zum Musikzimmer am nächsten gelegen. Dorian hatte die rechte Hand auf den Eckplatz gelegt. Der Gnom, der sich darauf niederlassen wollte, knurrte und rückte weiter. Caterina trat in die Reihe und setzte sich. Links neben Dorian saßen zwei schweigsame blasse Frauen. Danach kam der Gnom, dann der düstere Mann mit Mantel und Hut.
Stille lastete über dem kleinen Saal.
Laura Bertini stand noch einmal auf, drehte sich um und ließ den Blick über die Anwesenden gleiten. Es schien, als zählte sie.
Unvermittelt erlosch dann das Licht des elektrischen Kronlüsters. Dorian hatte zwar nicht gesehen, dass irgendjemand den Schalter betätigt hatte, aber er machte sich weiter auch keine Gedanken über dieses Phänomen. Er legte nur Caterina die Hand auf den Unterarm, damit sie sich nicht beunruhigte.
So plötzlich, wie das Licht ausgegangen war, ging es wieder an. Diesmal brannten sieben schwarze Kerzen in einem Eisenständer nahe dem hölzernen Notenpult. Vorher war der Ständer nicht dort gewesen; und niemand schien sich gerührt zu haben, um die Kerzen zu entzünden. Alle saßen wie gelähmt auf ihren Plätzen.
Dorian warf Caterina einen Seitenblick zu und bemerkte, wie sie bleich wurde. Ihre Miene war verkrampft.
»Der Maestro«, flüsterte jemand.
Es war Laura Bertini.
Der Mann kam aus dem Musikzimmer. Er schritt an Dorian und dem blonden Mädchen vorüber. Dorian konnte sein Gesicht nicht sehen. Mit seltsam eckigen Bewegungen steuerte Marco Bertini auf seinen Platz zu. Dann drehte er sich um. Auch jetzt waren seine Züge jedoch nicht zu erkennen, denn sie lagen im Schatten. Er nahm die Violine zur Hand, setzte den Bogen an und machte ein paar behutsame Striche. Mit sicherem Griff drehte er an der Mechanik, zog die E-Saite etwas höher, ließ sie dann klingen und nickte.
Schließlich setzte er sich. Immer noch lag sein Gesicht im Schatten.
Mit dem Mann stimmt etwas nicht , dachte Dorian.
»Schscht!«, machte Laura Bertini.
Es herrschte absolute Stille, bevor der Maestro einsetzte. Sein Solovortrag begann mit einer Reihe ruhiger Passagen. Caterina tippte Dorian mit dem Finger an. Er nickte ihr zu.
Der Dämonenkiller saß ruhig da, aber seine Sinne waren bis aufs Äußerste angespannt. Er betrachtete den Maestro. Keinen Augenblick ließ er den Blick von ihm.
Das Andante ging in ein Allegro über. Bertini bewegte sich nun öfter mit dem ganzen Oberkörper, ruckte nach vorn. Dadurch gerieten mal seine Hände, mal sein Gesicht und die Haare ins Kerzenlicht.
Das Gesicht war maskenhaft. Ja, jetzt sah Dorian es genau. Bertini trug eine Gummimaske. Und über die Hände hatte er feine Handschuhe gestreift.
Dorian wollte Überlegungen zu seiner verblüffenden Entdeckung anstellen, aber die Musik, diese einzigartige Interpretation, dieser weiche, einschläfernde Klang machten es ihm fast unmöglich, klar zu denken. Dorian und Caterina waren hingerissen von der Darbietung, und mit ihnen waren es die anderen Gäste der Soiree. Sie waren alle wie verzaubert.
Das Spiel wurde ungestümer. Ton um Ton schraubte sich die Melodie in gewagte Höhen hinauf. Bertini beherrschte seine Amati mit vollendeter Sicherheit.
Der Dämonenkiller spürte es; die Musik wollte ihn einlullen. Er kämpfte dagegen an; und dank seiner Konzentrationsgabe gelang es ihm. Rasch warf er Caterina wieder einen Seitenblick zu und bemerkte, dass sie die Karte aus Büttenpapier in den Fingern hielt: die Einladung. Sie drehte und wendete sie, strich mit der einen Hand darüber.
Dorian wurde aufmerksam. Als sich ihr Blick fest auf die Karte richtete, sah er, wie sich darauf Schriftzeichen bildeten.
Dem Dämonenkiller stockte fast der Atem.
Ge-lieb-te.
Das erste Wort hatte er entziffert. Es war, als schriebe jemand mit einem Geisterfüllfederhalter auf das Papier. Es handelte sich um Gedankenübertragung, Telepathie, die sich auf einmalige Art mit Telekinese vermischte.
Geliebte Caterina, komme in mein Schlafgemach in den Keller , stand nun auf der Einladung.
Caterina Schifano bewegte träumerisch die Lider. Sie hatte den gleichen Gesichtsausdruck wie am Nachmittag, als sie zum Kolosseum gefahren war.
Dorian handelte sofort. Mit dem Kruzifix konnte er hier nichts ausrichten. Er führte die Hand unter die Smokingjacke, öffnete den obersten Hemdknopf und holte die gnostische Gemme hervor.
Der Vortrag ging weiter. Bertini, der Maestro, der Unvergleichliche, war von Vivaldi auf die diabolischen
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