053 - Der Gast aus dem Totenreich
Treppe zu besteigen, eine Treppe, neben der ein Schild mit der Aufschrift Vorsicht, Lebensgefahr angebracht war. Er bekam ihren Arm zu fassen. Hielt sie zurück und zog sie zu sich heran.
»Caterina!«, stieß er heftig hervor.
Zuerst schaute sie ihn ungläubig und abwesend an. Sie lächelte, schien ihn aber nicht zu erkennen. Erst, als er sie schüttelte, bewegte sie die Lider und schnitt eine Grimasse.
»Mein Gott, Dorian – was machst du denn hier? Wo – wo bin ich überhaupt?« Sie schaute sich um. »Das ist ja das Kolosseum! Dorian, was ist geschehen?«
Er blickte sie ernst an. »Das frage ich dich. Ich bin dir gefolgt. Ein Glück. Sonst wäre dir bestimmt etwas passiert. Komm! Wir müssen diesen Platz verlassen. Ich möchte nicht, dass uns doch noch ein paar Brocken auf die Köpfe fallen.«
Sie setzten sich in ihren Wagen.
Caterina lehnte sich zurück und fuhr sich mit der Handfläche über die Stirn. »Dorian – mir brummt der Kopf. Ich muss erst einmal meine Gedanken ordnen. Was ist passiert?«
Er erzählte es ihr.
Verblüfft guckte sie ihn an. »Ist das die Möglichkeit? Ich kann mich – nicht daran erinnern, meine Wohnung verlassen zu haben. Bin ich denn eine Schlafwandlerin? So was habe ich noch nie gemacht. Es sieht ja fast so aus, als – als wollte ich Selbstmord begehen.«
Dorian erwiderte nichts und zündete sich eine Zigarette an. Er geriet in einen echten Gewissenskonflikt. Sollte er dem Mädchen von den Ereignissen in der Villa berichten oder sie noch uneingeweiht lassen?
»Dorian, warum sprichst du nicht?«
Er legte den Kopf etwas nach hinten und blies den Rauch nach oben. Nein, es war besser, sie noch nicht völlig aufzuklären. Sie war ohnehin verwirrt genug. Setzte er ihr auseinander, was er in der Bertini-Villa gesehen hatte, so geriet sie völlig aus dem Häuschen, dann kam sie womöglich am Abend nicht mit; und ohne Begleiterin konnte er die Soiree abschreiben.
»Weißt du«, sagte er, »wir gehen jetzt einen Kaffee trinken. Er wird uns beiden gut tun. Vielleicht bist du bloß ein bisschen überspannt.«
Er wusste genau, dass dies nicht der Fall war.
Dorian Hunter hatte auf Caterinas Wunsch hin das Steuer des Duetto übernommen. Er lenkte den Wagen die Privatstraße hinauf. An der Umgebung hatte sich seit der vergangenen Nacht nichts verändert. Nur eine Variante gab es: Die hohen Fenster der Villa waren matt erleuchtet. Autos parkten vor der Mauer.
»Wir betreten das Haus getrennt«, sagte Dorian. »Wir müssen es aus taktischen Gründen so machen. Möglich, dass sich jemand wundern würde, gleich zu Anfang statt Antonia Biasi mich an deiner Seite zu sehen. Komme ich allein, falle ich weniger auf. Später tun wir uns wieder zusammen.«
»Ich richte mich ganz nach dir.«
Sie öffnete ihre Handtasche und kramte darin herum. Es war eine silberbestickte Tasche; sie passte zu dem eleganten Abendkleid und der Stola. Den Fuchspelzmantel hatte sie lose über die Schultern gehängt.
»Hier!« Sie reichte ihm die auf Büttenpapier gedruckte Einladung. »Es steht kein Name darauf. Du wirst also keinerlei Schwierigkeiten haben.«
Der Dämonenkiller bremste und stellte den Alfa Duetto in angemessener Entfernung vom Tor ab. Caterina stieg aus. Er sah ihre Gestalt hinter dem geöffneten Tor verschwinden.
Außer ihr war niemand in der näheren Umgebung zu sehen. Dorian wartete ungefähr drei Minuten, dann machte auch er sich auf den Weg.
Er hatte das Tor erreicht, als ihm eine große Gestalt den Weg verstellte. Dorian sah, dass es ein Mann war, eine seltsame Erscheinung mit einem dunklen, bis auf den Boden reichenden Mantel. Den breitkrempigen Hut hatte er tief in die Stirn gezogen, so dass Dorian nur Mund und Nase erkennen konnte.
»Guten Abend!« Dorian zeigte ihm die Einladungskarte. »Ich komme doch wohl nicht zu spät? Sind schon alle Gäste eingetroffen? Wer fehlt denn noch?«
Er benahm sich ruhig und unbefangen, aber es war, als redete er gegen eine Wand.
Der Fremde nahm nur die Einladungskarte an sich, nickte und erwiderte leise: »Es ist gut. Gehen Sie! Es ist gut.«
Dorian ging an ihm vorüber. Den Blick aufmerksam auf die Villa gerichtet, strebte er darauf zu. Er hatte die Hände in den Manteltaschen vergraben. Das hölzerne Kruzifix steckte in der Innentasche seines Smokings.
Stimmen hallten aus der Villa heraus. Dorian ging die Freitreppe hinauf, blieb stehen und drehte sich zu dem Zierteich um.
Der speckige Hut des kleinen Ganoven Venturini war verschwunden.
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