0539 - Der Alptraum-Schädel
Meine eigene Stimme war nur mehr ein schwaches Murmeln. Ich wollte auch in Ruhe gelassen werden, denn abermals hatte sich etwas getan. Auf der Brust spürte ich ein Brennen.
Das Kreuz »meldete« sich.
Im ersten Moment dachte ich, es würde in meinen Körper hineindrücken, so ätzend und bissig war der Schmerz, doch es blieb nicht.
So schnell, wie er aufgeflammt war, verschwand er auch wieder.
Und die Kraft kehrte zurück.
In meinem Innern spürte ich eine gewisse Leichtigkeit und gleichzeitig auch ein Wissen, um Dinge, die ich zuvor nicht gewußt hatte.
»Wir haben einen Fehler gemacht«, sagte ich, als ich den Kopf zur Seite drehte, um nicht in den Steinboden zu sprechen. »Wir haben seine Stärke nicht richtig berechnet. Er ist mächtiger, als wir damals angenommen haben.«
»Damals?« fragte Suko.
»Ja«, keuchte ich, »damals…«
»Wie kommst du darauf?«
Ich gab Suko eine Antwort, die er nicht erwartet hatte. »Er… er hat sich mit dem Teufel verbündet. Erst hat er das Böse verfolgt, dann aber war es stärker.«
»Nostradamus?«
Ich lachte. »Ich weiß nicht, ob er Nostradamus war. Er hat es kurz vor seinem Tod gesagt. Der Schädel wurde von uns begraben. Wir haben ihn tief in die Erde hineingebracht und den Körper zuvor verbrannt. Es mußte sein, weißt du? Aber…«
»Rede nicht weiter, John. Du bist…« Suko atmete pfeifend ein.
»Das ist alles so unnatürlich.«
»Was hast du?«
»Steh auf, John!«
Ich hörte die Worte und erhob mich. Es ging langsam, zudem wurde ich von Suko auch nicht unterstützt. Als ich endlich stand, hatte ich das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. In mir war alles anders, als wäre ich selbst eine andere Person.
Ich drehte Suko den Rücken zu und hörte ihn sagen: »Bitte, John, dreh dich um!«
Das tat ich auch.
Er starrte mich an, ich sah in sein Gesicht und bemerkte, wie er den Kopf schüttelte.
»Ist etwas?«
Suko wich vor mir zurück, als wäre ich ein Gespenst. Im Licht der Lampe sah sein Gesicht aus wie angestrichen, bleich und grau zugleich. So hatte ich ihn selten erlebt.
»Deine Stimme, John…«
»Was ist mit ihr?«
»Sie klingt fremd, so anders, obwohl du die gleiche Person bist. Du hast gesagt, wir hätten damals Fehler gemacht. Damals, John, warst du dabei.«
»Ja, ich war dabei!« erklärte ich laut und deutlich. »Ich erinnere mich genau, denn ich habe die Häscher angeführt.«
»Du, John?« schrie Suko.
»Nein, nicht ich – Hector de Valois!«
***
Suko konnte zunächst nichts sagen. Er stierte mich an, dann flüsterte er: »Hector de Valois, der Templerführer, diejenige Person, die du einmal gewesen bist.«
»Das stimmt.«
»Und jetzt?«
Ich öffnete weit meine Augen. »Jetzt bin ich er und John Sinclair. Ich spüre ihn, sein Geist ist in mir. Er ist zurückgekehrt. Er ist in mir wiedergeboren und will mir Hilfe geben. Die Erinnerung, Suko, kehrt zurück, nun weiß ich, wie es früher hier ausgesehen hat. Alles läuft deutlich vor meinen Augen ab. Wir hätten den Schädel vernichten sollen, in ihm war seine Kraft gespeichert.«
»Auch noch heute?«
»Ja, er hat die Geister der Toten auf seine Seite gezogen. Er wird furchtbar wüten, das kann ich dir sagen. Furchtbar, verstehst du? Er ist bereits in der Nähe, er wird…«
»John, bitte…«
»Wir müssen gehen«, sagte ich mit der Stimme des Hector de Valois. »Wir müssen das Grauen stoppen, bevor er sich ausbreiten kann. Komm endlich, Suko!«
Diesmal machte ich den Anfang und kletterte aus dem Keller.
Suko folgte mir. Ich stand schon in der Küche, als er sich über den Rand der Grube schwang. »Was schaust du dich so um, John?«
»Etwas ist nicht mehr so wie sonst. Es ist einiges passiert. Sie sind nicht mehr da.«
»Wer ist nicht mehr da?«
»Die Toten!« flüsterte ich. »Die Gesichter sind erlöst worden. Menco hat den Schädel befreit und die lange Gefangenschaft aufgelöst. Wir müssen hin.«
»Wohin?«
»Ich spüre den Schädel, Suko. Ich spüre seine Gewalt, sein Grauen, seine Kraft.«
»Im Haus?«
»Nein!« schrie ich, »draußen. Dort, wo das Kreuz in Flammen steht. Mein Gott…«
Ich rannte los, schneller als Suko begreifen konnte!
***
Das Kreuz stand in Flammen!
Noch hielt Pablo es mit beiden Händen. Die vor ihm wabernde Wand verzerrte sein Sichtfeld, so daß er Carmen nurmehr als zitternde Figur erkannte, die hinter der Wand wie ein nicht körperlich existentes Wesen wirkte.
Aber sie war da, und sie hielt den Schädel, aus
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