0539 - Der Alptraum-Schädel
Fenster stehen.
Mit beiden Händen hielt sie etwas umklammert, das sich seit langer Zeit schon im Familienbesitz befand.
Es war ein schweres Holzkreuz!
***
Rosa Grenada hatte alles mit angesehen und auch mit angehört. Sie stand am offenen Fenster und hatte zunächst nicht gewußt, was sie tun sollte. Zum Glück war der Junge im Bett geblieben. Auch für sie war es schwer gewesen, das alles zu fassen, aber sie gehörte einer anderen Generation an. Diese Menschen hatten sich noch um Dinge gekümmert, über die man als modern denkendes Individuum lachte.
Sie glaubte den Worten, und sie hielt das Kreuz aus dem Fenster.
Das Kreuz hatte den Tod besiegt, jetzt sollte es dafür sorgen, daß auch das Gute gewann.
»Nimm es an dich, Pablo! Es ist deine, meine und auch die Chance deiner Frau!«
Noch zögerte er. Zudem vernahm er das kalte, dumpfe Lachen des Don Jaime. »Was wollt ihr damit? Ich habe damals…«
»Halt dein dreckiges Maul!« brüllte Pablo und lief mit ausgebreiteten Armen auf das Fenster zu.
»Gut, Pablo, gut!«
Er blieb zwei Schritte vor der Hauswand stehen, reckte die Arme hoch, ein Zeichen, daß Rosa etwas tun sollte.
Sie ließ das Kreuz fallen!
Um nicht doch getroffen zu werden, sprang er zurück. Das Kreuz schlug auf, blieb aber nicht stehen und kippte ihm in die auffangbereiten Arme.
»Danke, Mutter, danke!«
Rosa nickte nach unten. »Und jetzt tu deine Pflicht, mein Sohn. Nimm keine Rücksicht auf Carmen. Sie hat den Teufel im Leib. Das Kreuz wird uns die Freiheit bringen, es wird das Grauen vertreiben.«
Pablo schaute noch einmal hoch zu seiner Mutter. So kannte er sie nicht. Ihr Gesicht sah völlig anders aus. In den Zügen lag eine wilde Entschlossenheit, als wollte sie im nächsten Moment selbst aus dem Fenster steigen und ihm zu Hilfe kommen.
Aber sie blieb oben, streckte den Arm vor und ballte dabei die rechte Hand zur Faust.
Pablo aber drehte sich um. Er kam sich vor wie ein einsamer Kämpfer, der gegen eine wahre Übermacht anzutreten hatte. Die Lippen bildeten einen Strich, so hart waren sie aufeinandergepreßt worden. Flammen schienen aus seinen Augen zu schlagen, ein innerlicher Ruck durchpeitschte ihn, dann setzte er sich in Bewegung.
Niemand tat ihm etwas.
Carmen stand nach wie vor auf dem Tisch, den Schädel mit beiden Händen haltend. Auch die Menschen mit den bleichen Totenfratzen rührten sich nicht. Eine ungewöhnliche Stille hielt den Platz umfangen. Das Gefühl einer drückenden Angst, die alles zusammenpreßte, was in ihre Fänge geriet. Selbst vom Ort her war kein Laut zu vernehmen. Beimez schien eingeschlafen zu sein.
Alles lag wie unter einer gläsernen Glocke verborgen. Die Zeit schien nicht mehr weiterzulaufen.
Pablo drehte sich um. Unter seinen Sohlen hörte er das Knirschen.
Es störte ihn.
In der Drehung noch hob er das schwere Holzkreuz an. Er hatte es mit beiden Händen umfaßt. Es war aus Eiche gefertigt und dementsprechend schwer.
In Höhe der Schienbeine schwebte das Ende des senkrechten Balkens über dem Boden. Pablos Gesicht war völlig ausdruckslos, als er den Tisch ansteuerte.
Auch jetzt noch leuchteten die bunten Birnen in den Girlanden.
Sie bewegten sich nicht, da auch der Wind eingeschlafen war. Nur gaben sie der Szenerie einen ungewöhnlichen Touch.
Bunt paßte einfach nicht…
Zwei Schritte vor Erreichen seines Ziels holte ihn wieder die dunkle Stimme ein.
»Bleib stehen, Pablo!«
Der Bodegero gehorchte und stemmte das untere Kreuzende gegen den Boden. Vielleicht war es ein Fehler. Vielleicht auch nicht, aber er wollte noch einmal mit seiner Frau reden. Vielleicht reagierte sie im Zeichen des Holzkreuzes anders.
»Carmen, ich gebe dir eine letzte Chance! Komm zu dir! Wirf den Schädel weg, dann wird es uns auch gelingen, den Geist des Verfluchten aus deinem Körper zu treiben…«
»Nein!« brüllte sie.
Pablo ging weiter. Was er jetzt tun mußte, konnte leicht dazu führen, daß Carmen nicht überlebte, doch er sah keine andere Möglichkeit.
Da geschah es!
Rosa Grenada und auch ihr Sohn hatten beide die Macht des Hexers Jaime de Toledo unterschätzt. Aus den leeren Augenhöhlen des Schädels schossen die Flammen der Hölle.
Lange Feuerzungen, die sich bewegten wie Fahnen und auf ein Ziel konzentriert waren.
Das Feuer blendete Pablo. Er schloß die Augen, eine innere Stimme warnte ihn davor, das Kreuz noch länger festzuhalten. Er konnte es nicht loswerden und hielt plötzlich ein Flammenkreuz in der Hand, wobei das
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