0539 - Der Alptraum-Schädel
nicht zu schreien, denn das Gesicht hatte sich verändert. Rosa preßte eine Hand vor die Lippen und schaute mit starren Augen gegen die verzerrt wirkenden Züge.
Vorhin waren sie traurig gewesen, jetzt aber zeigte es einen schmerzverzerrten Ausdruck, der auch noch in den Augen stand.
Rosa schüttelte sich, als hätte man kaltes Wasser über ihren Rücken gegossen. Es dauerte fast zwei Minuten, bis sie sich wieder gefangen hatte. Dann versuchte sie es noch einmal. Sie hörte ihren eigenen, lauten Atem, neigte sich vor und wischte mit der neu angefeuchteten Stelle über die linke Wange des Gesichts hinweg, wobei sie zusätzlich die Finger noch hoch bis zur Stirn und um die Augen herum gleiten ließ, um sehen zu können, ob sich etwas veränderte.
Das geschah auch.
Dieses Phänomen verschwamm etwas, aber es blieb in dem Stein.
Wegwischen konnte sie es nicht. Der Mund bewegte sich dabei langsam, als bestünde die Haut um ihn herum aus Gummi, die jemand sehr vorsichtig zur Seite gezogen hatte.
Es blieb!
Sosehr sich die alte Frau auch bemühte, sie bekam es nicht weg.
Nach einiger Zeit gab sie auf, stellte den Eimer zur Seite und setzte sich auf den Stuhl.
Was sollte sie tun?
Die Familie mußte Bescheid wissen. Der Sohn, die Schwiegertochter, sie alle mußten sich mit diesem Phänomen auseinandersetzen.
Rosa überlegte, ob sie schon jetzt die Familie alarmieren sollte, verschob es aber, denn die Gäste würden die Bodega bald verlassen. Bis zum Abend hielten die Grenadas das Lokal immer geschlossen.
Heute dauerte es ihr viel zu lange, bis die Leute verschwanden.
Pablo brachte die letzten noch bis vor die Tür.
Rosa hatte die Küche mittlerweile verlassen. Carmen, die Schwiegertochter, bemerkte nicht, daß sie den Schankraum betrat.
Sie stand am Becken und spülte Gläser.
Rosa beobachtete sie.
Carmen war eine schöne Frau. Schwarzhaarig, lockig, mit einer etwas üppigen Figur und einer für eine Spanierin hellen Haut. Ihr Gesicht besaß auch nicht den scharfen, harten Ausdruck mancher Flamenco-Tänzerinnen, es war sehr weiblich und auch weich. Die großen Augen und der schöne Mund fielen ebenfalls auf. Carmen trug an diesem Tag einen schwarzen Rock aus Seidentaft und eine knallrote Bluse mit einem ovalen Ausschnitt. Unter dem dünnen Stoff zeichneten sich die prallen Formen ab.
Rosa Grenada räusperte sich. Das hörte auch Carmen, schaute auf und lächelte. »Da bist du ja, Mutter.« Sie wischte eine Haarsträhne aus der Stirn. »Ist dir die Suppe gut gelungen?«
»Perfekt.«
»Toll, das wird die Leute freuen.« Carmen wollte sich wieder ihrer Tätigkeit zuwenden, als ihr das Benehmen der älteren Frau auffiel. Rosa war anders als sonst. Sie wirkte so, als wäre sie überhaupt nicht vorhanden. »He, hast du was?«
»Si.«
»Und was?«
»Ich muß mit euch beiden reden.«
Carmen kannte ihre Schwiegermutter. Wenn sie so sprach, hatte sie etwas auf dem Herzen. Ihrem Gesichtsausdruck nach mußte es sich dabei um etwas Unangenehmes handeln.
»Ja… bitte, wenn du meinst. Soll ich Pablo holen?«
»Nicht nötig, er kommt.«
In der Tat drückte Pablo in diesem Augenblick die Tür auf, betrat den Schankraum, breitete die Arme aus und fuhr durch sein schwarzes Haar mit den ersten grauen Strähnen darin. »Himmel sei Dank! Das hätten wir hinter uns. Die wollten gar nicht gehen.« Er kam auf die Theke zu und schob dabei einige Stühle dichter an den Tisch heran. Als die beiden Frauen keine Kommentare gaben, was für sie unüblich war, blieb er stehen, hob die Schultern und fragte:
»Ist was?«
»Mutter will mit uns reden!«
Pablo schaute Rosa an. Erst jetzt fiel ihm auf, wie bleich sie geworden war. »Bist du krank, Mutter?«
»Nein, was denkst du denn?«
»Du siehst so aus.« Er lief auf seine Mutter zu, die ihm die Handfläche entgegenstreckte.
»Bleib stehen, Junge! Ich habe schon Carmen gesagt, daß ich mit euch reden muß.«
»Gut, wir hören, Mutter.«
»Glaubt ihr an Geister oder Gespenster?« fragte Rosa direkt.
Carmen und Pablo warfen sich einen bezeichnenden Blick zu.
»Mutter«, sagte ihr Sohn mit einer fast beschwörenden Stimme. »Ich weiß ja, daß du an gewissen übersinnlichen Dingen interessiert bist, aber muß das ausgerechnet jetzt sein?«
»Das muß!«
»Wir haben viel zu tun und…«
»Kommt mit in die Küche, dann werdet ihr anders darüber denken.« Sie drehte sich um und ging vor.
»Sollen wir die Suppe probieren?« rief Pablo.
»Hör auf, mich zu verspotten! Mir ist
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