054 - Gabe und Fluch
einstürzte, so unbefangen gegenüber trat.
»Du bist wirklich ein ungewöhnlicher Mensch«, sagte sie. »Mit dir erlebe ich jeden Tag eine neue Überraschung.« Sie hielt ihn also nicht für einen Mutanten, das war schon viel wert.
Aiko nutzte die Gunst der Stunde. So nah wie jetzt kamen sie sich vielleicht so bald nicht wieder. Zärtlich umfasste er ihr Handgelenk und zog sie näher heran.
Erst wirkte sie völlig überrascht, dann spannten sich ihre Muskeln in einer deutlichen Abwehrreaktion. Die romantische Spannung, die Aiko eben noch zu spüren glaubte, war plötzlich dahin. Er hielt sofort inne. Wagte nicht mehr, sie an sich zu pressen, sondern gab ihren Arm frei.
Er hatte alles gewagt - und verloren.
Wie schon so oft.
»Sorry«, entschuldigte er sich. »Es ist nur, weil…« Seine Gefühle ließen sich schwer in Worte fassen, besonders da er eine Abfuhr erhalten hatte. »Ich… ich habe dich wirklich sehr gerne.« O Gott, wie armselig das klang, wenn man es laut aussprach.
Brina strich sich eine imaginäre Haarsträhne aus dem Gesicht, um ihre Verlegenheit zu überspielen.
»Macht doch nichts«, versicherte sie hastig. Ihren glühenden Wangen war deutlich anzumerken, dass sie nach ein paar freundlichen Worten suchte, um die Enttäuschung für ihn abzumildern. Bitte nicht die alte Leier, bat Aiko inständig, doch sein Wunsch wurde nicht erhört. Der Text, den sie abspulte, war ihm so bekannt, dass er ihn wortwörtlich mitsprechen konnte…
»Ich habe dich auch sehr gerne, Aiko, aber eben nur als Freund.« Brina verstummte, als sie den säuerlichen Ausdruck in seiner Miene bemerkte. »Was ist? Habe ich etwas Falsches gesagt?«
»Also bitte«, brach sich seine Enttäuschung Bahn. »Auf der Liste der zehn meistgehassten Sprüche, die Männer niemals wieder von einer Frau hören möchten, steht dieser wirklich ganz oben!«
»Oh«, entfuhr es ihr, »das wusste ich nicht.« Ihrer krausen Stirn war anzusehen, dass sie noch nie von dieser Liste gehört hatte, aber sie zweifelte nicht daran, dass sie in Aikos Welt existierte. »Was soll ich machen?«, fuhr sie bedauernd fort. »Ich fühle nun mal nicht so wie du.«
Er nickte. »Es ist wegen der Implantate, nicht wahr?«, fragte er. »Sie stoßen dich ab.«
»Nein«, versicherte sie überrascht. »Wie kommst du darauf? Jede Frau kann doch froh sein, einen Prachtkerl wie dich zu bekommen. Daran liegt es bestimmt nicht. Es ist, weil…« Ihre feurige Ansprache versiegte von einer Silbe auf die andere. Was immer sie ihm als Grund nennen wollte, sie brachte es plötzlich nicht mehr über die Lippen. Und das war schlimmer als wenn sie ihn wegen der künstlichen Buchse in seinem Kopf abgelehnt hätte.
Brina fühlte sich unter Aikos enttäuschtem Blick nicht sonderlich wohl. »Riella sucht dich«, kehrte sie zum eigentlichen Anliegen ihres Besuchs zurück.
»Sie möchte wissen, wann ihr euch auf den Weg macht.«
»Sobald ich meine Kenntnisse um die Sprache der Mechico erweitert habe. Du kannst ihr sagen, dass sie schon mal zum Großraumgleiter gehen soll. Ich komme gleich nach.« Aiko nahm das Kabel auf und stöpselte es sich vor ihren Augen in den Nacken. Wozu noch verbergen, was er wirklich war? Ein Cyborg mit den Bedürfnissen eines Menschen und der kalten Ausstrahlung einer Maschine.
Brina strich ihm zum Abschied über die Schulter.
Nachdem sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, sank Aiko mutlos auf sein Bett. Am liebsten hätte er die Decke über den Kopf gezogen und sich für die nächsten Tage nicht mehr aus seinem Quartier bewegt. Aber die Bedrohung durch die Zombietruppen ließ keinen Raum für seine persönlichen Befindlichkeiten.
Er wollte mit Riella in den ehemaligen Ostteil von El'ay fliegen, um die Stimmung der dort lebenden Bevölkerung zu erkunden. Wenn die Mechicos eine zweite Front eröffneten, würden die Japaner den Vormarsch auf Takeos Siedlung vorläufig stoppen müssen.
Er hatte zwar nicht viel Hoffnung, dass die Libellenreiter ihre Allianz mit den Invasoren brachen, aber angesichts der verzweifelten Situation mussten sie nach jedem Strohhalm greifen. Download abgeschlossen, meldete sein internes System. Aiko zog das Kabel aus seinem Port und räumte den Player zur Seite.
»Hasta la vista«, murmelte er traurig und machte sich auf den Weg.
Obwohl die Kämpfe im Tal mit Ausnahme weniger Scharmützel ruhten, wurde es ein arbeitsreicher Tag. Während Aiko und Riella zu Verhandlungen mit den Mechicos aufbrachen, versuchten Brina,
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