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054 - Josephas Henker

054 - Josephas Henker

Titel: 054 - Josephas Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Earl Warren
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zerkratzten es. Doch er erreichte die Waldwiese.
    Was er in jener Nacht dort sah, erzählte er nie. Doch am Morgen hatten seine Haare graue Strähnen bekommen, obwohl er noch keine Dreißig war. Seine Geliebte sah er nicht wieder bis zu jener Hexenprobe, die sie klar und unmißverständlich vor aller Augen überführte.
    Der Bruder des Söldners war es gewesen, der gleichfalls in jener Vollmondnacht der Rothaarigen gefolgt war bis zur Hexenwiese. Als er sie im Kreis der andern Hexen sah, wußte er genug. Er kehrte in sein Haus zurück.
     

     

Am nächsten Morgen, als der Söldner halb wahnsinnig vor Entsetzen und Kummer hereintappte, ging der Bruder an ihm vorbei. Wortlos.
    Er zeigte die Rothaarige wegen Hexerei an. Nachdem die erste Anzeige eingetroffen war, kam eine Lawine ins Rollen. Unzählige Anschuldigungen, begründet oder unbegründet, wurden erhoben, die Rothaarige verhaftet und dem hochnotpeinlichen Verhör unterworfen. Sie leugnete hartnäckig, obwohl sie ihreGlieder streckten, ihr die Finger und Fußnägel ausrissen und ihre Füße in siedendes Öl tauchten.
    Der Richter ordnete die Hexenprobe an. Nachdem die Rothaarige als schuldig erkannt war, sprach der Richter am gleichen Tag das Urteil: Tod durch das Schwert. Zeitpunkt: Die Mittagsstunde des nächsten Tages.
    Dies alles ging dem Söldner durch den Kopf, während er durch das Dorf schritt. Hinter seinem Rücken wurde getuschelt. Er war der Geliebte der rothaarigen Hexe gewesen, und er stand im Verdacht, mit ihr im Bunde zu sein.
    Vor dem Haus des Bürgermeisters zögerte der Mann einen Augenblick. Dann ergriff er den Türklopfer. Es wurde ihm geöffnet. Die Magd führte ihn in die Amtsstube, wo der Bürgermeister, der Abt des Klosters, der Graf und der Richter warteten. Es war zehn Uhr, zwei Stunden noch bis zur Hinrichtung.
    Der Söldner zog die Kappe mit der Bussardfeder vom Kopf, wartete, bis der Richter ihn ansprach.
    „Nun, Henker, was gibt es?“
    „Ich kann es nicht“, stieß der Söldner hervor. „Ich bringe es nicht fertig. Bestimmt einen andern, sie zu töten, es geht über meine Kraft.“
    Der rundliche Abt runzelte die Stirn.
    „Das gefällt mir gar nicht, Henker, was du da sprichst. Du warst der Buhle dieser Hexe, und wenn du dich jetzt weigerst, sie vom Leben zum Tode zu befördern, dann müssen wir annehmen, daß du mit ihr im Bunde bist. Vielleicht sollten wir dich auch auf der Folter verhören oder der Hexenprobe unterziehen? Vielleicht bist du ein Hexenmeister.“
    Christian Karl von Roxfels, der Abt des Klosters, sah sich in der Runde um. Die andern nickten beifällig. Es war drückend heiß in der Stube. Eine Fliege summte gegen das Fenster, immer wieder, und der Söldner fühlte sich genauso wie sie.
    „Ich bin kein Hexenmeister“, sagte er mit matter Stimme, denn er hatte seit jenem Hexensabbat auf der Hexenwiese nicht mehr geschlafen noch gegessen. „Habt Erbarmen, ihr Herren. Bestimmt einen anderen zum Henker.“
    „Nein“, sagte der Richter für alle, „du wirst deines Amtes walten, Henker, oder selbst der Hexerei angeklagt. In zwei Stunden wirst du die Hexe enthaupten.“
    Der Söldner drehte sich um. Langsam, wie ein alter Mann, ging er hinaus. Hinter sich hörte er noch die Stimme des Grafen: „Diesem Henker sollte ebenso der Prozeß gemacht werden.“ Und der Richter antwortete: „Ihn können wir nicht einfach ohne hinreichenden Grund in den
    Kerker werfen und verhören. Immerhin war er kaiserlicher Hauptmann. Er soll sie enthaupten und damit beweisen, daß er unschuldig ist.“
    Der Söldner verließ das Haus des Bürgermeisters. Furchtsam sah die Magd ihm nach, schlug das Kreuzzeichen, als er draußen war. Die Leute im Dorf musterten den Söldner scheu. Er beachtete sie nicht.
    In weniger als drei Tagen waren alle seine Träume und Hoffnungen zu Schutt und Asche geworden. In diesem kleinen, abgelegenen Dorf gab es ebensowenig Frieden wie draußen in der Welt, wo Tausende und Abertausende auf den Schlachtfeldern starben.
    Er ging zum Gefängnis, einem kleinen, schmucklosen Backsteinbau. Eine johlende Menschenmenge hatte sich um das Gebäude versammelt. Sie warteten bereits auf die Hinrichtung. Derbe Späße wurden gemacht. Der Söldner hörte, wie der Rothaarigen obszöne Bemerkungen und haßerfüllte Worte zugerufen wurden.
    Er drängte sich durch die Menge. Viele erkannten ihn, und sie hätten ihn wohl verhöhnt oder ihm Beleidigungen zugerufen, doch der Ausdruck in dem bleichen, zerquälten Gesicht des

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