054 - Josephas Henker
großen, breitschultrigen Mannes hielt sie davon ab. Sein Blick war leer. Er schien seine Umwelt nicht wahrzunehmen.
Der Söldner betrat das Gefängnis.
„Habt ihr es gesehen“, sagte eine Frau zu ihren Nachbarinnen. „Seine Haare sind in ein paar Tagen grau geworden.“
Sie raunten und flüsterten miteinander.
Der Söldner trat indessen vor die Zelle. Durch die Gitterstäbe betrachtete er die auf der Pritsche sitzende Rothaarige. Sie bemerkte seine Gegenwart und sah ihn an.
„Ich muß dich hinrichten“, sagte er leise. „Es bleibt mir keine andere Wahl.“ Plötzlich übermannte ihn der Zorn. „Du Hexe!“ schrie er. „Belogen und betrogen hast du mich. In den Vollmondnächten hast du Scheußlichkeiten mit der Hexenschar ausgebrütet, dich in der Walpurgisnacht dem Leibhaftigen hingegeben, du elende Kreatur! Und für dich bin ich Narr zum Henker geworden!“
Die Rothaarige sprang auf. Ihr schönes Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze des Hasses. Sie beschimpfte den Söldner gemein, mit Flüchen und Ausdrücken, wie er sie nicht einmal von den Marketenderinnen und Troßhuren gehört hatte.
Zum Schluß aber sagte die Rothaarige: „Du und deine ganze Sippe soll büßen, was du mir angetan hast. Ich habe dich geliebt. Ich wollte mit dir gehen. Und du stößt mich von dir, tötest mich. Bei meiner Hinrichtung sollst du ein Zeichen erhalten, daß du nie vergessen wirst. Dann wirst du wissen, wie groß meine Macht ist und daß du büßen wirst, du und die Deinen.“
Die letzten Worte hatte sie mit ruhiger, gefaßter Stimme gesprochen. Doch dann begann sie zu lachen, und es klang wie geborstenes Glas.
„Da stehst du nun und starrst, du Tropf. Töte mich nur, mein Geliebter. Ich werde dich zu finden wissen, wo du auch sein magst.“
Entsetzt drehte der Söldner sich um. Er lief aus dem Gefängnis. Hinter sich hörte er dieses gräßliche Lachen, das nichts Menschliches mehr an sich hatte. War das in der Zelle wirklich die schöne, junge Frau, die er in vielen Nächten in seinen Armen gehalten hatte? Konnte in soviel Schönheit und Anmut wirklich der Teufel wohnen?
So mußte es sein. Er wußte es. Und er hatte den letzten Anstoß gegeben, seine Geliebte endgültig den finsteren Mächten ausgeliefert. Er hätte sie retten können, hätte er mit ihr das Dorf verlassen, und seinetwegen hatte sein Bruder sie verfolgt und angezeigt.
Paul Warringer erwachte. Er lag im Dunkeln und mußte erst eine Weile überlegen, wo er sich befand. Der Traum war zu plastisch gewesen. Das Schlimmste daran aber war, daß in seinem Traum die Rothaarige genau wie Josepha ausgesehen hatte. Sogar ihr Körper, an den er sich aus den Liebesszenen im Traum deutlich erinnerte, war wie der Josephas gewesen.
Paul schauderte. Ein frischgebackener Ehemann, der auf der Hochzeitsreise träumte, seine Frau sei eine Hexe. Es war ihm, als sei er in die Haut jenes Söldners geschlüpft, von dem er träumte; und er hatte Mühe, in die Wirklichkeit zurückzufinden.
Er tastete neben sich. Das Kissen war leer.
„Josy!“ rief er.
Doch niemand antwortete. Kein Atemzug. Stille. Grauen ergriff Paul. Zu viele unheimliche Dinge hatte er in den letzten Stunden erlebt. Paul Warringer erinnerte sich an jenen Traum, den er in der Nacht zuvor, im Hotel in Hamburg gehabt hatte. Den Traum von der Hexenprobe. Den hatte er nicht ernst genommen. Die Frau war im Traum nicht genau zu erkennen gewesen, er in Gestalt des Beobachters stand zu weit weg.
Im Dunkeln fand Paul die Laterne und entzündete sie. Das Bett war leer, Josepha nicht im Zimmer. Langsam, mühsam zog Paul sich an. Er fühlte sich völlig ausgelaugt. Jede Bewegung fiel ihm schwer. Paul konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen.
Josepha, hämmerte es in seinem Kopf. Ich muß sie finden.
Paul taumelte aus dem Zimmer. Seine Knie waren weich. Ein Gefühl, das er aus seiner Boxerzeit an der Universität kannte. Er fühlte sich wie nach einem schweren Knockout. Fast wäre er die Treppe hinuntergefallen.
Die Gaststube war leer. Kein Wunder, denn es war schon bald Morgen. Paul schloß die Tür auf – der Schlüssel steckte – und stolperte hinaus ins Freie. Die frische Nachtluft tat ihm gut. Sein Kopf wurde klarer. Aber die Schwäche verließ ihn nicht. Es war, als habe er drei Tage nicht geschlafen und gegessen.
Da hörte Paul einen Schrei. Den gellenden Angstschrei einer Frau. Er glaubte, Josephas Stimme zu erkennen. Er blieb stehen, lauschte, woher der Schrei gekommen war. Wieder
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