054 - Josephas Henker
deine getrunken habe. Es schmeckt besser als feuriger Wein.“
Sie berührte die kleinen Wunden an Pauls Hals. Jetzt wußte er, warum er so zerschlagen war, warum er kein Glied rühren konnte. Die Hexe hatte sein Blut getrunken nach den wilden Liebesumarmungen der beiden letzten Nächte.
Die tanzenden Weiber kreischten wie die Furien. Ihre Gesichter waren dämonisch verzerrt. Einige rissen ihre Gewänder auf, entblößten Brüste und Schenkel und machten obszöne Bewegungen, um Paul zu verhöhnen. Dumpfe Trommelwirbel mischten sich in das Höllenkonzert.
Plötzlich verstummte die Musik. Die Tanzenden standen wie erstarrt in der Pose, die sie zuletzt eingenommen hatten.
„Ich habe dich geliebt, Henker Warringer“, sagte die rothaarige Hexe Josepha. „Aber du hast mich verschmäht und beleidigt, sogar hingerichtet hast du mich. Ich war erst 23 Jahre alt – und alle 23 Jahre darf ich für ein paar Wochen zurückkehren auf die Erde. Meine Gefährtinnen und Schwestern, andere Hexen in allen Teilen der Welt, treiben mir die Nachkommen meines Henkers zu. Wenn es gelingt, wenn diese Nachkommen des Henkers Warringer durch eigene Schuld oder durch Hexenzauber in meinen Bannkreis geraten, gehören sie mir. Ich trinke mich an ihrem Blut satt, nachdem ich sie genarrt und mir Untertan gemacht habe. Dann überlasse ich mein Opfer meinen Gefährtinnen, und sie zerreißen es wie tollwütige Hunde.“
Sie streckte die Hände aus, kam auf Paul zu. Dämonische Lust leuchtete aus ihren Augen, prägte ihr Gesicht, das Gesicht Josephas. Ihre bleckenden Zähne näherten sich Pauls Hals.
Jetzt galt es zu handeln. In Todesnot schüttelte Paul den Bann ab, packte die Hexe an den Haaren. Mit der andern Hand faßte er ihre Schulter, bog ihren Kopf zurück, die Zähne von seinem Hals weg. Spitz und lang waren ihre Eckzähne, wie weiße Dolche.
Sie wand sich in Pauls Griff. Sein Blick fiel auf die dünne Narbe an ihrem Hals.
„Helft mir“, kreischte die Hexe Josepha. „Er will mich töten.“
Die Frauen erwachten aus ihrer Trance. Sie stürzten von allen Seiten wie die Furien auf Paul zu, um ihn zu zerreißen. Dieser Übermacht entfesselter Hexenweiber hatte er nichts entgegenzusetzen.
„Hexe Josepha!“ schrie Paul mit der Wut der Verzweiflung. „Stirb, Hexe, zum Satan mit dir, wo du hingehörst.“
Er riß mit aller Kraft an den roten Haaren der Hexe Josepha. Sie stieß einen grauenhaften Schrei aus. Plötzlich hielt Paul ihren Kopf in der Hand. Es war ein gräßliches Bild. Mit der Linken hielt er ihre Schulter umklammert, in der Rechten hielt er an den Haaren ihren Kopf, wie damals vor 355 Jahren sein Vorfahr, der Scharfrichter.
Kein Tropfen Blut floß. Es wurde totenstill. Die heranstürzenden Furien erstarrten. Entsetzt sah Paul, wie der Kopf der Hexe Josepha zerfiel, wie er zu einem Mumienschädel wurde. Dann hielt er an einer dünnen Haarsträhne nur noch einen grinsenden Totenkopf in der Hand. Angewidert ließ er ihn fallen. Seine linke Hand umfaßte nichts mehr. Ein bleiches Skelett brach zusammen. Die Knochen fielen übereinander.
Paul stand allein auf der Waldwiese. Rundum war es still. Friedlich lag die Wiese im Mondlicht. Paul erinnerte sich der Worte der Hexe, daß Josepha in der Nähe sei, seine Josepha, seine geliebte Frau. Er fand sie unter einem Baum, tief und fest schlafend. Sie trug den knappen, lindgrünen Minirock und eine enge, buntbedruckte Bluse.
Paul weckte sie sanft. Josepha sah auf. Sie schlang die Arme um seinen Hals.
„Ach Paul, Paul“, stöhnte sie, „ich habe so schrecklich geträumt. Von einer Hexe, die so aussah wie ich, von Henkern und blutigen Hexensabbaten. Wo bin ich hier? Wie komme ich hierher?“
Paul streichelte ihr rotes Haar.
„Es ist alles gut, Josy, Darling. Es ist alles vorbei. Im Gasthaus werde ich dir in Ruhe alles erzählen. Eine schaurige, alte Geschichte, die 1623 mit einer Liebesromanze zwischen einem Henker und einer Hexe begann und die heute endet, mit einer Liebesromanze zwischen einem jungen Mann und der zauberhaftesten Frau der Welt.“
Er half Josepha aufzustehen und führte sie durch den Wald zurück ins Dorf. Wie hatte es sich verändert! Breite, von Neonlampen beleuchtete Straßen, große, moderne Häuser. Autos auf den Straßen, am Straßenrand geparkt. Den Gasthof gab es nicht mehr, an seiner Stelle stand ein modernes Hotel.
Paul und Josepha gingen hinein. Dem silberhaarigen Nachtportier fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er das Paar
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