054 - Josephas Henker
Honoratioren. Sie trugen Festtagskleidung. Um die erhöhte Plattform stand das Volk. Männer, Frauen und Kinder, Bürger und Bauern. Die Menge füllte den kleinen Platz.
Der Söldner hörte die Rufe und Schreie, die den Karren begleiteten. Die Hände der Rothaarigen waren gefesselt. Johlend und schreiend drängten sich die Leute um den Karren, den ein uralter, dürrer Klepper zog, die Schindmähre. Die Schergen zu beiden Seiten des Wagens hatten alle Hände voll zu tun, um die Zuschauer abzuwehren. Sie bekamen manchen derben Stoß und Schlag ab.
Hände streckten sich nach der Rothaarigen aus. Unflätige Schimpfworte und Obszönitäten wurden laut. Die Menge rundum erschien ihr wie ein einziger, tobender, haßerfüllter Körper mit tausend Mäulern und zweitausend Händen und Fäusten. Ohne die Schergen wäre sie in Stücke gerissen worden von der entfesselten Meute.
„Die Hexe!“ hörte man immer wieder. „Die rote Hexe! Da fährt sie hin zu ihrem Liebhaber, dem Henker, der sie ihrem Herrn, dem Satan, überantworten wird. Seht sie euch an, die Hexe!“
Ein geifernder, alter Mann drängte sich zwischen den Schergen hindurch. Sein Gesicht war eine haßverzerrte Fratze, und er brüllte: „Hexenbrut! Satansweib! Hexenbrut! Satansweib!“
Ein Scherge packte ihn und schleuderte ihn in die Menge. Er kam zu Fall, verschwand unter den Füßen. Sein Schrei ging unter im Toben der Zuschauer.
„Der Henker und die Hexe“, rief eine gellende Frauenstimme. „Ein schönes Paar. Gleich werden sie die Henkershochzeit feiern. Halt nur still, Hexe, wenn er zu dir kommt, damit er dir nicht weh tut.“
Ein wildes Gelächter wurde laut. Ein grausames Lachen ging durch die Menge, schüttelte sie wie ein Krampf.
Vor der Richtplattform hielt der Karren. Grobe Hände zerrten die Rothaarige vom Karren, stießen sie die Stufen zur Plattform hinauf. Sie sträubte sich, stemmte sich gegen die Schergen, schrie verzweifelt: „Laßt mich! Laßt mich gehen! Ich will nicht sterben. Ich will nicht. Ich bin doch noch so jung.“
„Die Jungfer ziert sich“, sagte ein Scherge grimmig.
Die Rothaarige wurde zum Richtblock geschleift. Sie sah das schwere, ungefüge Schwert, den kräftigen, halbnackten Henker. Sein Gesicht war totenblaß.
Die Rothaarige sah den Söldner an, ihren Geliebten, der ihr Henker werden sollte. Die Menge verstummte. Gaffend, lauernd erwarteten die Zuschauer auf dem kleinen Platz vor der Richtstätte den Augenblick, wo das Schwert den Kopf der schönen jungen Frau vom Rumpf trennen würde.
„So soll es also sein“, sagte die Rothaarige leise zu dem Henker. „Denk an meine Worte, mein Geliebter, ich werde dir deine Tat nicht vergessen in alle Ewigkeit.“
Der Söldner antwortete nicht. Hinter ihm trat der Gerichtsschreiber vor, entrollte ein Pergament und begann zu lesen. Es war ein langatmiger, kompliziert abgefaßter Text. Der Gerichtsschreiber endete mit den Worten: „… so sollst du also auf dem Richtblock dein schändliches Leben enden, Hexe. Der Satan, der dich schuf, soll dich in sein Reich aufnehmen, daß du auf Erden nicht mehr wandeln könnest, Gott und den Menschen zum Greuel, und Unheil stiften.“
Der Gerichtsschreiber rollte die Urkunde zusammen. Der hochgewachsene, weißhaarige Richter rief mit lauter Stimme: „Henker, walte deines Amtes!“
Sechs Trommler begannen einen Trommelwirbel. Unheimlich hallte der dumpfe Klang durch die schwüle, heiße Luft. Es roch nach Schweiß und den Ausdünstungen der tausendköpfigen Menschenmenge. Von weither waren sie gekommen, um die Hexe sterben zu sehen. Ein Windstoß fegte über den Platz, der erste Vorbote des drohenden Gewitters.
Zwei Schergen zwangen die Hexe auf den Richtblock nieder. Sie entblößten ihren weißen Nacken. Das rote Haar fiel wie eine Feuerflut vom Kopf der schönen jungen Frau. Der Trommelwirbel schwoll an, wurde schneller, hektischer.
Langsam hob der Henker das blitzende Schwert mit beiden Händen hoch über den Kopf. Die Rothaarige sah ihn an, während die beiden Schergen ihr die Arme verdrehten, sie auf dem Richtblock niederhielten. Wie Raubtieraugen waren die grünen Augen der Rothaarigen.
Es brauste in den Ohren des Söldners. Schweiß brach ihm aus allen Poren, kalter Schweiß. Er spannte die Muskeln an. Er mußte es tun, denn sie war eine Hexe, und wenn er sie nicht richtete, war er selbst verloren.
Eine Hexe.
Mit aller Kraft schlug er zu. Das Schwert sauste herab wie ein silbriger Blitz. Die scharfe Klinge zischte
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