054 - Josephas Henker
sagte er zu Josepha. „Wecke mich, wenn diese Zeit um ist. Dann werde ich dir zeigen, daß wir auf der Hochzeitsreise sind, Josy, mein Darling.“
Josepha hauchte Paul einen Kuß auf die Stirn.
„Schlaf nur“, sagte sie. „Wenn du aufwachst, geht es dir wieder besser.“
Paul zog die rote Samtdecke über sich. Fast augenblicklich fiel er in tiefen Schlaf. Sein Atem ging ruhig und regelmäßig.
Josepha betrachtete ihn. Sein Gesicht sah im Schlaf friedlich und entspannt aus wie das eines großen Jungen. Draußen war es hell und sonnig. Josepha beschloß, eine Stunde spazierenzugehen. Die Helle des Sonnentags sollte die Düsterkeit und den Schrecken der Nacht verscheuchen, die immer noch in ihr nachwirkten.
Wieder kam der Traum. Paul Warringer glitt in die Existenz eines andern. Er lebte und erlebte einen Zeitabschnitt aus dem Leben eines Menschen, der schon vor dreihundert Jahren gestorben war, dem er aber doch auf eine geheimnisvolle Weise verbunden war.
Der Traum führte Paul Warringer in das Boston der Pilgerväter, das Boston des Jahres 1646. Zu dieser Zeit erschütterten Hexenjagden das gesellschaftliche Gefüge der Stadt. Viele Hexen und Hexenmeister mußten brennen. Unbarmherzig verfolgten die frommen Puritaner, deren Väter mit der ‚Mayflower’ nach Massachusetts gekommen waren, den Satan und seine teuflischen Mächte. Teufelsaustreibungen und Hexenverbrennungen waren an der Tagesordnung.
„Aber Vater, es ist absolut kindisch, was Jonathan Cochran und die andern behaupten. Gewiß, es mögen in manchen Fällen übernatürliche Kräfte im Spiel sein, aber müssen die gleich Unglück und Verderben bringen? Die meisten dieser unglücklichen Menschen werden nur von neidischen, mißgünstigen Nachbarn angeschwärzt. Auf der Folter gestehen sie dann den größten Unsinn, um den Schmerzen zu entrinnen.“
Die grauen Augen des hochgewachsenen jungen Mannes blitzten. Er hatte langes, lockiges, dunkles Haar, ein ‚scharfgeschnittenes, markantes Gesicht. Er trug ein einfaches Wams, ein helles Hemd und Kniehosen. Die Füße steckten in schnallenbesetzten Schuhen.
Der ältere Mann hinter dem Schreibtisch, sein Vater, trug die gleiche Kleidung. Sein Sohn war ihm sehr ähnlich, doch dem Jüngeren fehlte der herbe, strenge Ausdruck, der das Gesicht des Älteren prägte, die scharfen Falten, die von Kummer und altem Leid sprachen. Das Haar des Vaters war eisgrau.
„George“, sagte er bedächtig, „es gibt Dinge, von denen du dir nichts träumen läßt. Drüben, in Deutschland, in der alten Heimat, habe ich in meiner Jugend einen Fall von Hexerei erlebt. Dein Onkel, mein Bruder Paul, kam damals auf schreckliche Art ums Leben. Hexenzauber wendet sich immer zum Bösen, George, daran ändert weder Liebe noch Gebet etwas.“
„Stimmt es, daß du drüben in dem großen Krieg gekämpft hast, Vater, der schon seit achtundzwanzig Jahren wütet und dessen Ende noch nicht abzusehen ist? Ist es auch wahr, daß du Henker gewesen bist, Vater?“
Eine steile Falte erschien auf der Stirn des älteren Mannes, kerbte sich über der Nasenwurzel ein.
„Das sagte ich deiner Mutter, George, bevor wir heirateten. Ein Weib soll alles über den Mann wissen, mit dem sie die Ehe eingeht, und umgekehrt genauso. Doch ich verbot ihr, zu andern darüber zu sprechen. Es ist nicht gut, über diese Dinge zu reden.“
„Sie erwähnte es nur, um mir zu erklären, weshalb du so gegen meine Verbindung mit Heather bist. Mutter sprach von einem lange zurückliegenden Hexenprozeß, der dich aus der alten Heimat trieb. Genaues hast du ihr ja auch nie darüber erzählt. Vom Tod meines Onkels hörte ich eben zum erstenmal. Doch was haben diese alten Geschichten mit meiner Liebe zu Heather zu tun?“
Was sollte der Ältere antworten? Daß ihn Heather, das schlanke, rothaarige Dienstmädchen der Familie an eine erinnerte, die er vor vielen Jahren gekannt hatte? Daß ihre grünen Augen seltsam durchdringend waren, daß Hunde sie anknurrten, während Katzen sie sofort schnurrend umschmeichelten?
Sollte er mit solchen vagen Argumenten gegen die stürmische Liebe eines Zwanzigjährigen sprechen?
Der Ältere senkte den Kopf und wandte sich den Papieren auf dem schweren, dunkel gebeizten Schreibtisch zu.
„Überleg dir genau, was du tust“, sagte er zu seinem Sohn. „Und spotte nicht über Hexenzauber und Hexenmacht. Wenn dir irgend etwas Ungewöhnliches auffällt, ganz gleich bei wem, dann komm zu mir, ja? Du mußt solche
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