054 - Josephas Henker
aus. Er flößte mir Angst ein. Heather sprach mit dem Mann, wohl eine halbe Stunde lang. Er drehte ihr dann den Rücken zu, und sie kniete vor ihm nieder. Was sie tat, konnte ich nicht genau erkennen. Dann trennten sie sich. Zuerst ging Heather an mir vorbei, dann der Schwarze Mann. Er ging ganz nahe an mir vorbei. Ich hätte ihn berühren können. Sein Gesicht war ganz schwarz, und er warf im Mondlicht keinen Schatten.“
Alle lauschten gebannt der heiseren Stimme der häßlichen Alten. Mit wenigen Worten hatte sie im Zimmer eine Atmosphäre des Grauens geschaffen.
Da flog die Tür auf. Heather und George, die draußen gelauscht hatten, stürzten herein.
„Sie lügt! Sie lügt! Das alte Schandmaul lügt!“ schrie Heather immer wieder.
George rief: „Hier stehe ich. Wer Heather etwas antun will, muß zuerst mich töten. Ich dulde nicht, daß sie von den Hexenjägern gefoltert wird.“
„Er ist mit ihr im Bunde“, kreischte die alte Alice in schrillem Diskant. „Er steht auf ihrer Seite.“
Albert wurde bleich vor Schrecken. Wiederholte sich denn alles auf dieser Welt? Reichten ein Ozean und zwanzig Jahre nicht, um den Schatten der Vergangenheit zu entkommen?
„Überleg dir, was du sprichst. Alte!“ donnerte Albert.
„Heute Nacht sah ich die Hexe bei Vollmond dem Schwarzen Mann, ihrem satanischen Herrn, begegnen“, schrie die alte Alice in höchster Erregung.
„Du altes Lügenmaul“, schluchzte Heather. „Warum verleumdest du mich so. Du elendes, falsches, böses, altes Weib? Ich wünschte, du wärest tot.“
Die alte Alice stieß ein ersticktes Keuchen aus. Ihr häßliches Gesicht verzerrte sich.
„Der Blick!“ stieß sie hervor. „Der Böse Blick!“
Die alte Alice griff sich an die Brust. Sie fiel wie ein gefällter Baum. Habakuk Dumphrie beugte sich über sie. Er warf Heather einen kurzen Blick zu, sah die andern an.
„Sie ist tot. Ergreift sie und verbindet ihr die Augen.“
Der Befehl galt den Schergen. Sie packten Heather, die fassungslos die reglos daliegende, bucklige alte Frau betrachtete. Sie rissen ihr die Arme nach hinten, verbanden ihre Augen mit einem roten Seidenschal. Dann schleppten sie Heather weg. Willenlos, ohne Gegenwehr, hing sie im Griff der Schergen.
Albert und George standen wie erstarrt. Habakuk Dumphrie aber sagte, ehe er ging: „Lange wird die Hexe nicht mehr ihr Unwesen treiben. Sie wird brennen. Auf der Folter wird sie uns ihre teuflischen Künste und die Namen der andern gestehen.“
George schloß sich in sein Zimmer ein, wollte niemanden sehen. Er weigerte sich, zu essen oder zu trinken.
„Ihr seid alle Narren“, schrie er seinem Vater durch die Tür zu, als der mit ihm reden wollte. „Die Alte war ein lügenhaftes Klatschmaul. Sie ist an ihrer eigenen Bosheit und der Aufregung gestorben. Es war ein Zufall, nichts als ein Zufall.“
In der Nacht versuchte George, Heather zu befreien. Doch die Wächter waren auf der Hut. Sie packten und überwältigten den jungen Mann, sperrten ihn in eine Zelle. Dort lief er mit dem Kopf gegen die Wand, schlug sich die Fäuste an der Tür blutig, wenn Heathers Schreie durch die Gänge hallten. Sie wurde grausam gefoltert, um ein Geständnis zu erzwingen.
Albert suchte am nächsten Tag das Gefängnis auf. Jonathan Cochran selbst, der oberste Richter von Boston, hatte ihm die Erlaubnis gegeben. Albert wollte seinen Sohn retten.
„Schwöre jede Verbindung zu der Hexe ab“, sagte er in der Zelle zu seinem ältesten Sohn. „Bevor du geboren warst, drüben in Deutschland, in dem kleinen Dorf, aus dem ich stamme, habe ich einen solchen Fall erlebt. Ich selbst war betroffen. Jene Hexe starb – durch meine Hand. Erspare mir die Einzelheiten, George. Schwöre Heather ab, verleugne sie, klage sie an. Du mußt es tun!“
„Nein, niemals, sie ist unschuldig. Immer wieder hat sie auf der Folter ihre Unschuld beteuert.“
George war nicht umzustimmen. Sein Glaube an Heather war felsenfest. Albert verließ die Zelle. Er ging in den Raum, in dem Heather verhört wurde. Er erschrak, als er Heather sah. Fast hätte er Mitleid für sie empfunden, doch er dachte daran, was sie war, und sein Herz verhärtete sich.
Das Mädchen war schrecklich zugerichtet. Brandwunden bedeckten ihren Körper, ihr Rücken war von Peitschenstriemen gezeichnet, ihre Glieder gebrochen oder ausgerenkt. Sie war mehr tot als lebendig.
„Es muß ein starker Dämon sein, der sich in ihr verbirgt“, sagte Habakuk Dumphrie. „Immer und immer wieder
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