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054 - Josephas Henker

054 - Josephas Henker

Titel: 054 - Josephas Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Earl Warren
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an. Beide waren bleich, ihre Nerven nach den Aufregungen und Schocks der Nacht zum Zerreißen gespannt. Der eine Satz prägte sich ihnen unauslöschlich ein ‚Josepha und ihr Henker.’
    „Was soll ich bringen?“ fragte der einäugige Wirt.
    „Was sind das für Leute da draußen?“ fragte Paul. „Wovon reden sie?“
    „Ein Verein“, antwortete der Wirt. „Sie haben ein Treffen.“
    Paul sprang auf, daß der Stuhl krachend umfiel. Er packte den Einäugigen am Kragen und zwang ihn auf die Zehenspitzen, daß er ihm ins Auge sehen konnte. Nur Zentimeter war sein Gesicht von dem des Wirtes entfernt.
    Die Wut verzerrte Pauls Gesicht, ließ ihn seine Schwäche und Müdigkeit vergessen. Er war ein großer, starker Mann. Der Wirt hing in seinem Griff wie die Schlange in den Fängen des Adlers.
    „Antworte mir!“ sagte Paul. „Und sag die Wahrheit! Was haben diese Leute von Josepha und ihrem Henker geredet? Sag es, oder ich schlage dir die Knochen kaputt.“
    Der Wirt rang nach Luft.
    „Eine alte Geschichte … aus der Dorfchronik“, stieß er hervor. „Sie führen jedes Jahr ein Theaterstück auf. Eine alte Geschichte von einer Hexe und ihrem Henker.“
    Paul ließ den Wirt so abrupt los, daß er fast stürzte.
    „Ein Theaterstück!“ Paul lachte hysterisch. „Feines Theater, das wir hier erleben konnten. Bring uns etwas zu essen, aber nicht wieder so einen Fraß wie gestern. Für mich einen Humpen Bier, für meine Frau Wein. Und zwei Schnäpse. Aber nicht so langsam.“
    „Sehr wohl. Natürlich. Sofort.“
    Der Wirt drückte sich hinaus. Er rieb seinen Hals, wo der Hemdkragen ihn zusammengeschnürt hatte, warf einen scheuen Seitenblick auf den großen, dunkellockigen Mann.
    Auch Josepha musterte Paul überrascht. So kannte sie ihn nicht. Unter normalen Umständen war er der gutmütigste Mann, den sie kannte. Aber sie wußte, daß es bei ihm eine Grenze gab, die nicht überschritten werden durfte. Paul Warringer geriet schwer in Zorn, aber dann war es besser, ihm aus dem Wege zu gehen.
    „Du siehst nicht gut aus“, stellte Josepha fest. „Deine Augen sind blutunterlaufen. Du hast rote Flecke auf den Wangen. Dein Gesicht ist so blaß und dazu deine Bartstoppeln. Man kann fast Angst vor dir bekommen. Hast du Fieber? Vielleicht hast du von den Wunden an deiner Kehle eine Infektion bekommen.“
    Paul ging nicht darauf ein.
    „Ob der Wirt die Wahrheit gesagt hat mit der Theateraufführung?“ murmelte er. Sein Atem ging heftig. „Wenn der Wagen morgen früh nicht fertig ist oder wenn in diesem Ort noch mehr solche Sachen wie in der letzten Nacht passieren, dann weiß ich nicht, was ich tue.“
    Der Wirt kam sehr schnell mit dem Essen. Zwei Mädchen, das eine noch im Kindesalter, das andere kaum darüber, halfen ihm beim Servieren. Es gab einen köstlichen Braten in Rotweinsauce, Klöße und frischen Salat. Eines der Mädchen deckte feierlich den Tisch, legte silberne Bestecke auf. Sogar ein Kerzenleuchter wurde auf den Tisch gestellt.
    Der Braten roch verlockend. Doch während der ganzen Zeit hingen die Augen der Mädchen voller Furcht an Paul und Josepha.
    Paul kippte den scharfen Schnaps. Wie Feuer rann er durch seine Kehle. Er stürzte das Bier hinterher. Es war stark und würzig. Diesmal war das Essen ausgezeichnet. Josepha hatte wenig Appetit, doch Paul langte zu wie ein Verhungernder. Das Bratenstück wog fast ein Kilo. Paul verschlang mit Heißhunger das meiste davon. Josepha aß nicht viel.
    Dazu trank Paul einen weiteren Schnaps und einen zweiten Humpen von dem starken, dunklen Bier. Endlich lehnte er sich aufatmend zurück.
    „Das war gut. Das Essen versöhnt mich fast mit der Bruchbude von Wirtshaus. Das war der beste Wildschweinbraten mit Preißelbeeren, den ich je gegessen habe, Josepha. Ich bin satt – und müde. Mir fallen fast die Augen zu.“
    Das war kein Wunder. Das reichliche Essen und das starke Bier taten nach den wenigen Stunden Schlaf in der Nacht ihre Wirkung. Paul rauchte eine Zigarette. Als er sie ausdrückte, wußte er, daß er wenigstens eine Stunde ruhen mußte. Er war satt und müde.
    Sie gingen auf ihr Zimmer. Die im Schankraum versammelten Leute sahen ihnen wieder schweigend nach, als sie die Treppe hochstiegen. Paul kramte den Schlüssel aus der Tasche.
    Durch das Fenster fielen helle Sonnenstrahlen, in denen Staubpartikelchen tanzten und aufblitzten. Paul setzte sich aufs Bett und zog die Schuhe aus. Hose und Hemd folgten.
    „Ich will mich eine Stunde langlegen“,

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