054 - Josephas Henker
mit in dieses Komplott verstrickt?
„Sieh hier, Paul“, sagte Josepha.
Auch sie hatte etwas gefunden. Der erstaunte Paul Warringer las, daß 1624 der Scharfrichter Albert Warringer den Orth verlassen und in die Fremde gangen sey’. Auf dem nächsten Dokument stand ein etwas verwickeltes Protokoll der Untersuchung eines geheimnisvollen Mordfalles.
Paul warf einen raschen Blick darauf. Das zweite Dokument datierte vierzehn Tage vor dem ersten.
In dem Protokoll wurde der rätselhafte Tod des ‚Bauern Paul Warringer’ untersucht, der auf ‚grauenvolle Arth und Weis entleibet worden’ sei. Auf der, Hexenwies’ sei seine ‚gräßlich verstümmelt Leich’ gefunden worden.
Paul spürte, wie ihn ein Schauder überlief, der wievielte in diesem unheimlichen Ort? Diese Ähnlichkeit der Namen – Warringer und Josepha. Der Henker und die Hexe. Alles hatten sie im Traum erlebt, in jenen schrecklichen, realistischen Träumen, die die düsteren und makabren Szenen längst vergangener Zeiten wieder aufleben ließen. Von der Hexenprobe bis zum Tod Paul Warringers.
Konnte jener Henker Albert Warringer, der Söldner aus Pauls Träumen, nachdem er seine Geliebte enthauptet und sein Bruder ein schreckliches Ende gefunden hatte, den Zweig der amerikanischen Warringers begründet haben? Alles sprach dafür, denn so viele Zufälle und Ähnlichkeiten gab es nicht.
Bestand dann aber die Möglichkeit, daß der Fluch jener Hexe Josepha nach dreieinhalb Jahrhunderten noch immer Gültigkeit hatte?
Josepha gab Paul eine weitere Notiz, auf uraltem Pergament geschrieben. Ihr Gesicht war bleich, und sie vermied es, Paul anzusehen. Es war eine Aufstellung der Entlohnung der Männer, die für die Gemeinde gearbeitet hatten.
Neben dem ‚Wagener Tobias Schmitt’, der für die Herrichtung eines gemeindeeigenen Fuhrwerks 20 Kreuzer erhalten hatte, und dem ‚Schmitt Franz Xaver Zwürli’ – 7 Kreuzer für Pferde beschlagen – war auch der Scharfrichter Albert Warringer erwähnt.
Er hatte am 20. August Anno Domini 1623 einen Gulden erhalten, weil er, einer Hex den Kopff abgeschlagen’.
Weder Paul noch Josepha hatten Lust, über die Entdeckungen zu reden, die sie gemacht hatten. Sie ordneten die Sachen wieder ein, legten sie an ihren Platz zurück. Der alte Archivar beobachtete den großen, dunkellockigen Mann und die zierliche, rothaarige Frau.
Er setzte mehrmals zum Sprechen an. Es schien, als wolle er etwas außerordentlich Wichtiges sagen. Er räusperte sich, schluckte, befingerte seine Kehle. Doch er brachte kein Wort hervor.
„Ja“, sagte Paul. „Möchten Sie etwas sagen?“
Der Archivar öffnete den Mund. Aber es kam kein Wort über seine Lippen. Endlich stammelte er: „Nein, nein, es ist nichts. Nichts. Ich kann Ihnen nichts sagen.“
Kopfschüttelnd verließ Paul den Archivkeller. Draußen angekommen, steckte er sich sofort eine Zigarette an. Er hatte sich wie in einer Gruft gefühlt, dort unten im Archiv. Die warme Sonne brachte Paul für ein paar Augenblicke von seinen düsteren Gedanken ab.
„Was jetzt?“ sagte Josepha.
„Zunächst werden wir etwas essen“, sagte Paul.
Stumm gingen sie zum Gasthof, Zur letzten Einkehr’ zurück. Diesmal war die Gaststube gedrängt voll. Dreißig Männer und Frauen saßen an den Tischen oder standen am Tresen. Als Paul und Josepha eintraten, verstummten sie wie auf Kommando.
Es war schon fast unheimlich. Alle starrten Paul und Josepha an. Es war wie ein Spießrutenlaufen. Einen Augenblick lang fühlte sich Josepha an ihren Traum erinnert, als sie allen zum abschreckenden Beispiel zum Richtplatz gekarrt worden war. Paul fiel zudem noch auf, daß die Menschen eine altertümliche Tracht trugen. Die Männer feierliche dunkle Anzüge von plumpem Schnitt, wie Paul ihn noch nie gesehen hatte, dunkle Westen und hohe Schnürschuhe. Die Frauen dunkle, lange Röcke, dunkle Blusen und Kopftücher. Niemand sprach ein Wort.
Paul und Josepha gingen in den Speisesaal. Paul schloß die Tür. Ein erregtes Stimmengewirr drang gedämpft herein, doch sie konnten die Bedeutung der einzelnen Sätze und Worte nicht verstehen.
Als der Wirt hereinkam, hörten sie ein paar Sätze, bevor er die Tür wieder schloß.
„Kein Zweifel, sie sind es“, sagte eine Frau. „Josepha und ihr Henker.“
„Es ist entsetzlich“, rief ein Mann, „grauenvoll. Wie soll das noch enden? Wann ist es endlich genug mit dem blutigen Spuk?“
Dann schloß der Wirt die Tür. Paul und Josepha sahen sich
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