0543 - Die Fliegen-Königin
Schritte zur Seite gegangen und stand neben der Wolke. Obwohl sie auch umsummt wurde, lächelte sie. Einige Fliegen hatten den Weg zu ihr gefunden und krabbelten über Gesicht, Arme und Beine. Sie schüttelte sie nicht einmal ab.
Vor Marco summte es böse. Bisher waren Fliegen für ihn da, um sie zu erschlagen, wenn sie ihm lästig wurden. Jetzt hatten sie den Spieß umgedreht.
Die Geräusche kamen ihm vor wie eine feindliche Botschaft. Sie waren schlimm, sie jagten ihm Angst ein und kalte Schauer über den Rücken.
»Nun?« hörte er Elviras Stimme. »Hier siehst du meine Freunde, Marco. Sie sind gekommen, als ich sie rief. Sie alle wollen mich beschützen. Sie hassen es, wenn es Menschen gibt, die nichts anderes vorhaben, als ihre Lust zu befriedigen. Ich hatte dich gewarnt, Marco. Du hast nicht gehört, du hättest umkehren sollen, du…«
»Hör doch auf, verdammt! Hör endlich auf, solchen Mist du reden!« Er starrte auf den summenden, zuckenden, tanzenden Schwarm. »Ich… ich will hier weg!«
Elvira amüsierte sich über seine Worte. »Auf einmal möchtest du verschwinden?«
»Ja!« schrie er.
»Aber Marco. Du hättest nicht zu kommen brauchen. Sie merken auch, wenn Menschen sie hassen. Du gehörst zu denen, die Fliegen gern erschlagen. Mit der flachen Hand und der Klatsche. Auch bereitet es dir Vergnügen, wenn du sie mit der Sprayflasche angreifen kannst. Ja, das weiß ich alles. Ich kenne dich.«
»Nein, nein, ich…«
»Hör auf zu lügen! Ich kenne euch. Ihr seid schlimm. Ihr laßt die Fliegen nicht leben. Ihr geht davon aus, daß sie wertlos sind, aber ihr habt euch geirrt.«
»Ich will weg!«
»Geh!« sagte Elvira und deutete auf die Leiter. »Du kannst nach unten steigen.«
»Und dann?«
»Nichts dann.«
»Ich muß durch den Schwarm.«
»Das ist dein Problem.« Sie streckte einen Arm aus. Die Hand tauchte in die Wolke aus Fliegen hinein. Einige Tiere landeten auf ihrer Hand. Sie hockten so dicht nebeneinander, daß sie schon fast einen pelzigen Handschuh bildeten.
»Willst du nicht endlich gehen?«
»Nimm die Fliegen weg!«
»Aber Marco…«
Er konnte ihren Spott nicht mehr länger ertragen. Die Angst peitschte wellenartig in ihm hoch. Der Schweiß rann ihm wie Wasser über das Gesicht.
Arme hoch, das Gesicht schützen und einfach hindurch. Einen anderen Weg gab es nicht.
Noch einmal schaute er auf das Mädchen. Elvira Klein stand in einer lockeren Haltung. Sie hatte die Lippen verzogen und amüsierte sich über die Angst des jungen Mannes.
»Willst du nicht?«
»Du bist eine… du bist eine …«
»Na, sag schon!«
Er schrie, weil er sich selbst Mut machen wollte. Dann startete er.
Marco hielt sich an das,, was er sich vorgenommen hatte. Arme hoch, das Gesicht schützen und hinein.
Es war für ihn wie ein Eintauchen in eine andere Welt. Er hatte zudem den Eindruck, als würde die Zeit langsamer ablaufen als sonst. Hätte er sich auf einer freien Fläche befunden, wäre es ihm möglich gewesen mit geschlossenen Augen zu laufen.
Hier aber mußte er sie offenhalten.
Die Fliegen nutzten auch die kleine Chance. Für Marco hatte es nicht viel Sinn, das Gesicht zu schützen, die kleinen Tiere fanden immer einen Weg, um seine Haut zu besetzen.
Sie waren aggressiv. Er spürte sie überall. Auf der Stirn, an den Wangen, dem Kinn, auf den Lippen, und sie krochen tatsächlich durch den Spalt in seinen Mund. Fanden den Weg in die Nasenlöcher, auch hinein in die Ohren, schoben sich unter seine Kleidung, bedeckten seinen Körper und machten ihn blind.
In seinen Ohren tönte das heftige Summen und Brummen. Es war sogar zu einer gewaltigen Stärke angeschwollen, alle anderen Geräusche löschte es aus.
Marco versuchte, den Gedanken an die Fliegen zu vertreiben. Er konzentrierte sich auf seine Flucht und damit auf die Stelle, wo die Umrandung des Hochsitzes eine Unterbrechung besaß und die Leiter begann.
Da war seine einzige Chance!
Die Fliegenkörper verklebten seine Augen. Sie machten ihn blind.
Er schob seinen rechten Fuß nach vorn, trat ins Leere, suchte nach der ersten Sprosse und verfehlte sie.
Mit der Hacke rutschte er dann ab.
In das Summen der tanzenden Fliegen hinein gellte sein verzweifelter Schrei. Da war plötzlich eine Kraft, die ihn nach unten riß. Er kippte nach vorn, schleuderte noch die Arme hoch.
Er fiel…
Marcus schwebte. Für wenige Augenblicke bekam er den Eindruck, allem Grauen entwischen zu können. Dabei war es der freie Fall, der ihn aus der Höhe zu
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