055 - Louba der Spieler
seiner Freundinnen, von der ich weiß, daß er sich mit ihr besondere Mühe gab. Er pflegte alle seine Seidenstoffe und seine Raritäten herauszukramen, um sie ihr zu zeigen. Jedes Mal, wenn er sie erwartete, lag der ganze fremdartige Kram herum. Ich glaube, sie interessierte sich sehr für den Orient. An jenem Abend gab es allerhand Aufregung mit ihr . Schließlich kletterte sie die Feuerleiter hinunter.«
»Hatte Mr. Louba sehr viele Damenbekanntschaften?«
»Hm — ein paar«, entgegnete Miller lakonisch.
Trainor legte die Schrauben vorsichtig in sein Etui.
»Wußte ›Charlie‹, wie man die Fenster öffnet und schließt?« fragte er.
»Möglich. Manchmal kommt es mir überhaupt so vor, als ob er früher schon einmal hier gewesen wäre. Tatsächlich habe ich ihn sogar schon mit der Geschichte verknüpft, die ich Ihnen eben erzählte. Eigentlich merkwürdig - ich entsinne mich seiner nicht besonders gut.«
»Die Dinge, an die Sie sich nicht erinnern können, würden gedruckt einen ganzen Bücherschrank füllen«, entgegnete Trainor gereizt.
19
Millionen Menschen lasen an jenem Morgen interessiert und mit angenehmem Nervenkitzel in der Zeitung den Bericht über die Mordaffäre Louba. Ein Mann aber las ihn mit zitternden Händen und aschgrauem Gesicht.
Charles Berry war ein von der Natur nicht gerade bevorzugter Mann von fünfunddreißig Jahren. Seine Gesichtszüge waren nicht sehr vertrauenserweckend, und seine niedrige Stirn, das eckige, schwere Kinn und die breite Nase verstärkten diesen Eindruck. Buschige schwarze Augenbrauen, die über den kleinen, eng beieinander stehenden Augen zusammenliefen, machten ihn auch nicht liebenswerter.
Zusammengekauert saß er gerade in einem Sessel im obersten Stockwerk des Wilberbaun Temperance Hotels, biß an seinen Nägeln und studierte die Zeitung, die er ausgebreitet vor sich liegen hatte.
»Genannt ›Charlie‹«, murmelte er.
Dann stand er auf, ging sichtlich verstört durch das Zimmer und stieß eine Tür auf.
»Louba ist tot«, flüsterte er heiser.
Eine Frau saß dort am Fenster, die Arme auf den breiten Sims aufgestützt. Trotz ihres verlebten Gesichts konnte man sie noch hübsch nennen, wenn sie auch viel zuviel Puder aufgetragen hatte und die Lippen übertrieben rot geschminkt waren. Sie drehte sich nach Charles um und schaute ihn gleichgültig an.
»Wahrscheinlich lügst du«, sagte sie. »Falls er aber wirklich tot ist, dann hoffe ich, er ist in der Hölle.«
Mit einem Sprung war er bei ihr, packte ihren Arm und riß sie hoch.
»Das hoffst du, so, so!« schrie er sie wütend an und schüttelte sie grob hin und her. »Ohne ihn können wir nicht leben! Was willst du denn jetzt anfangen? Bei deiner Häßlichkeit zahlt dir kein Mensch mehr etwas dafür, wenn du in der Bojida singst ...«
»Ich werde arbeiten«, sagte sie.
»Ja, höchstwahrscheinlich! Das sieht dir gerade ähnlich! Schau her - lies das da.«
Er stopfte ihr die Zeitung in die Hand und starrte sie an.
»Das geht auf dich. Hast du ihn getötet, wie?« fragte sie.
Noch wütender geworden, brüllte er sie an und schüttelte sie, bis sie die Augen schloß und schwer atmend zurücksank.
»Frag mich das noch einmal, du idiotisches Frauenzimmer! Frag mich das noch einmal, und ich zeige dir, was ich tun werde. Ich vergifte dich - hörst du? Charlie Berry hat seinen alten Beruf noch nicht vergessen.«
»Oh, ich wünsche mir nichts sehnlicher als das«, stöhnte sie und hielt sich krampfhaft aufrecht. »Ich weiß nicht, wie ich es all diese Jahre ausgehalten habe. Und jetzt gibt es keinen Ausweg mehr, nachdem er tot ist.«
»Es gibt keinen Ausweg!« erklärte er. »Auch für mich gibt es keinen ... Habe ich dich nicht geheiratet? Habe ich dich nicht aus dem Schmutz gezogen und eine anständige Frau aus dir gemacht?«
»Hättest du es doch unterlassen«, sagte sie bitter und lehnte sich wieder auf das Fensterbrett.
Er stierte sie an.
»Jetzt ist die Gelegenheit günstig, wenn du etwas verdienen willst«, höhnte er. »Wenn du entfliehen willst, dann geh hin und erzähle einer gewissen Person, was du bist und was du gewesen bist.«
»Du weißt, daß ich das nicht kann — und du weißt auch, daß du vor Angst sterben würdest, wenn ich es täte«, entgegnete sie achselzuckend. »Ich bin an dich gefesselt. Nichts auf der Welt kann uns trennen.«
Er hatte mittlerweile die Zeitung wieder aufgehoben.
»Die Polizei wird ganz London nach mir durchstöbern. Er hatte deine Briefe, und sie
Weitere Kostenlose Bücher