0551 - Im Licht der schwarzen Sonne
Aufgabe so zu erfüllen, daß der Wächter der Schicksalswaage mit mir zufrieden sein kann. Ich begehe Fehler. Scheinbar nicht nur in letzter Zeit, sondern auch schon vor vielen Jahrhunderten. Das, was jetzt geschieht, entzieht sich meiner Kontrolle. Es ist etwas, das ich niemals wollte, das nicht zu meinen Plänen gehört. Es hat sich verselbständigt. Das hätte nicht sein dürfen. Hätte ich meine Aufgaben korrekt erfüllt, wäre es auch niemals geschehen. Ich finde keine Erklärung für das Entstehen von Shirona und Taran. Ich bin unfähig geworden und…«
»Ha!« fiel ihm der Drache ins Wort. »Unfähig? Natürlich bist du unfähig geworden. Unfähig zu lachen! Unfähig, an die schönen Dinge des Lebens zu denken. Merlin, Merlin… es gibt noch so viel zu genießen und zu erleben! Schau mich an! Ich habe meinen Elter verloren. Deshalb befinde ich mich überhaupt hier in der Menschenwelt: Ohne mein Elter bin ich im Drachenland geächtet. Es war schlimm. Ich liebe meinen Elter immer noch und bin dankbar für alle Fürsorge, die er mir angedeihen ließ, solange es ihm möglich war. Aber er ist tot, damit muß ich leben. Ich darf deshalb nicht in Trübsinn versinken und ebenfalls sterben. Dafür bin ich nicht geschaffen worden. Alles, was existiert, hat seinen Sinn. Als ich ganz traurig war, habe ich mit den Bäumen gesprochen, und sie haben mir gesagt, daß alles, was geschieht, geschehen muß und wir das Beste daraus machen sollen. Tja, Merlin, ich habe die Bäume, mit denen ich sprechen konnte. Wen hast du? Bei wem kannst du dich ausweinen, wenn es dir nicht gutgeht? Wem öffnest du dein Herz?«
Merlin sah ihn seltsam leer an.
»Warum sollte ich mit jemandem über meine Schwächen und Niederlagen sprechen?«
»Weil wir im Gespräch mit anderen unsere Stärken in unseren Schwächen erkennen. Und weil Niederlagen so zum Sieg über uns selbst führen!« verkündete der Drache. Er atmete tief durch - und dabei schoß versehentlich ein wenig Feuer aus seinen Nüstern. Die Flammen leckten über Merlins weißes Gewand und hinterließen Rußspuren.
»Oh, Verzeihung!« stöhnte Fooly auf. »Wie ungeschickt von mir! Das wollte ich nicht, Merlin. Glaubst du mir, daß ich es nicht wollte? Ganz bestimmt nicht! Ich -ich werde natürlich alles tun, um… warte, bleib so stehen. Ich hole weiße Farbe und übermale die Rußflecken, ja? Ich…«
»Laß nur«, bat Merlin. »Es ist schon gut so. Es macht keinen Unterschied. Bemühe dich nicht.«
»Du bist schon ein komischer Kauz«, meinte Fooly. »Da hatte ich gehofft, dich ein wenig aus der Reserve zu locken, und du stehst immer noch einfach da und denkst ans Sterben, nicht wahr? Warum eigentlich? Ist es dir sogar egal, daß ich dich belogen habe? Ich habe dein Langhemd ganz absichtlich angeschmort. Du müßtest mir eigentlich böse sein. Es ist unmenschlich, wie du dich benimmst.«
»Ich bin kein Mensch«, sagte Merlin. »Und du bist kein tolpatschiger Narr, kleiner Drache. Du bist ein Weiser, ein Philosoph. Doch deine Philosophie kann niemals meine sein. Denn auch wenn du schon über hundert Erdenjahre alt bist, trennen uns Welten.«
»He!« stieß Fooly hervor. »Ich habe dir mein Alter doch noch gar nicht gesagt!«
»Aber ich sehe es in dir«, gestand Merlin. »Dein Denken ist anders als meines. Deshalb werden wir uns nicht verstehen, selbst wenn wir es versuchen. Deshalb verstehen mich auch die Menschen nicht. Nicht einmal jene, denen ich näher stehe als jedem anderen Wesen. Nicht jener, der als erster zwölf Erwählte um sich scharte und zu einer Legende wurde, die nach zweitausend Jahren immer noch nichts von ihrer Kraft verloren hat. Nicht jener, der ein Weltreich schaffen sollte und doch durch Verrat starb. Und auch Zamorra nicht, der als dritter das vollenden soll, was den anderen nicht gelang. Aber ich glaube, er begreift nicht einmal, worum es geht, und…«
»Und nun willst du es dir einfach machen, indem du glaubst: Wenn du stirbst, spielt es keine Rolle mehr, ob er Erfolg hat oder nicht, wie?« fuhr Fooly ihn an. »Wunderst du dich da noch, daß keiner dich versteht? Du bist ein Narr, Merlin!«
»Es ist alles anders, als du denkst«, sagte der alte Mann, der länger gelebt hatte als jeder Mensch.
»Dann verrate mir, was anders ist«, drängte Fooly.
»Warum sollte ich das tun?«
»Um freundlich zu mir zu sein«, erwiderte der Drache. Er entdeckte plötzlich den blaufunkelnden Sternenstein, den Zamorra oder Nicole verloren hatten. Er watschelte
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