0556 - Milenas Opferstätte
entgegenbrachten? Ich konnte es nicht sagen, jedenfalls herrschte eine sehr gespannte Atmosphäre, in der ich mir vorkam wie ein Eindringling.
Sie schauten mich an.
Nicht gleichgültig, wie ich es akzeptiert hätte. Ihre Blicke waren mehr lauernd, als wollten sie mich genau überprüfen.
»Hier, hol dir deinen Tee, Grealy.«
Tom reichte dem Ankommenden die Tasse.
Der nahm sie nickend entgegen und schlürfte die Brühe. »Ah, das tut gut.«
Ich saß und schaute zu Tom hoch. Er stand einen Schritt von mir entfernt. Eine Tasse hielt er noch in der Hand. Seine Pupillen glitzerten, als würde dort Eis tauen.
Dieser Kerl hatte irgend etwas vor, das sagte mir mein Gefühl. Ich wollte ihn schon fragen, als er handelte.
Es ging alles blitzschnell, dennoch kam es mir vor wie im Zeitlupentempo.
Er kippte die Blechtasse nach rechts und gab ihr gleichzeitig den nötigen Schwung.
Das heiße Zeug schwappte auf mein Gesicht zu. Den Kopf bekam ich nicht mehr schnell genug zur Seite. Die dampfende Flüssigkeit traf meine Haut, die Augen schloß ich noch, dann brühte der Schmerz über meine Wangen. »Du Schwein«, keuchte Tom und schlug zu…
***
Der Hieb erwischte mich irgendwo zwischen Kinn und Ohr. Ich sah nicht nur Sterne, ich kippte auch zurück, schlug mit dem Hinterkopf gegen die Innenwand des Wohnmobils, wollte die Beine anziehen, doch Tom war schneller. Mit seinem gesamten Gewicht warf er sich auf mich und nagelte mich auf der Pritsche fest, die – o Wunder – nicht zusammenbrach. Seine Hände umklammerten meinen Hals, drückten zu. Ich bekam keine Luft, während gleichzeitig die Schmerzwellen durch meinen Kopf rasten, weil ich den ersten Treffer noch nicht verdaut hatte.
»Dir werde ich es zeigen!« keuchte Tom. »Du verdammtes Schwein, du mieser, dreckiger Verräter!«
Er hob meinen Kopf an und schlug ihn einige Male gegen die Wand, bis Grealy eingriff und ihn zurückzog.
»Das mache ich«, zudem hörte ich seine Stimme, denn sehen konnte ich es nicht, weil ein Schleier vor meinen Augen lag und sich zu einem Nebelstreif verdichtet hatte. Jemand stahl mir noch die Beretta, erst dann ließ man mich in Ruhe. Ich wußte nicht, was mehr an meinem Kopf schmerzte. Die hintere Seite oder die, wo mich der Hieb zuerst erwischt hatte. Jedenfalls war das Kinn angeschwollen.
Auch der Hals, wo mich die Finger umklammert hatten, tat weh, und die Haut im Gesicht brannte durch den heißen Tee. Zum Glück war er nicht kochend gewesen.
Ich hörte sie reden. Manchmal flüsternd, dann auch wieder lauter, aber Worte oder Satzfetzen verstand ich nicht. Ihr Reden ging unter in einem Gemurmel.
Ich atmete laut und keuchend, wischte über mein Gesicht, weil mir Nässe in die Augen gedrungen war. Jemand kam auf mich zu, ich hörte seine Schritte.
Dann spürte ich dicht unter meinem Hals einen Druck auf der Brust, den ich kannte. Der Druck blieb und verschwand auch nicht, als ich die Augen öffnete.
Jemand hatte noch eine zusätzliche Lampe eingeschaltet, das Licht war jetzt besser.
Allmählich kristallisierte sich eine Gestalt hervor. Es war Hank, der uns auch begrüßt hatte. Noch immer hielt er sein Gewehr fest.
Diesmal jedoch drückte die Mündung gegen meine Brust und zeigte nicht mehr zu Boden. Ich schielte am Lauf vorbei. Hinter Hank sah ich Grealy. Ein Zeichen, er, der auf meiner Seite stand, war zurückgedrückt worden. Das Kommando hatten andere übernommen.
Die Brüder Tom und Wayne rahmten Hank ein. Ihre Gesichter waren kalt. Sie schauten wie starre Masken auf mich nieder. Immer wenn ich einatmete, hob sich neben meiner Brust auch der Lauf des Gewehres. »Wir haben Zeit, Sinclair, du kannst dich noch etwas ausruhen. Dann aber wollen wir die Wahrheit wissen.«
»Und wie!« sagte Tom. Er hielt meine Silberkugel-Beretta und betrachtete sie wie einen ungemein wertvollen Fund.
Ich war nicht zum erstenmal down und geschlagen worden. An diese Dinge gewöhnt man sich zwar nicht, aber man bekommt Routine darin und ist wieder schneller oben.
»Was wollt ihr denn wissen?«
»Du bist ein Verräter, Sinclair!«
Ich lachte Hank bitter an. »Das hat mir noch niemand gesagt.«
»Dann bin ich der erste.«
»Wie kommst du darauf?«
»Wir haben uns dein Souvenir genau angeschaut, Sinclair. Wir kennen es nämlich.«
Ich verstand Bahnhof. »Welches Souvenir?«
»Die Urne!«
Zwar blickte ich noch nicht völlig durch, das konnte auch an den Treffern liegen, aber mir ging allmählich ein Licht auf. Die Urne war das Problem.
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